Deutsche Missbrauchsvermeidungsregelung europarechtswidrig

15.01.2018

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in zwei verbundenen Verfahren die Europarechtswidrigkeit der Missbrauchsvermeidungsregelung des § 50d Abs. 3 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 festgestellt (Rs. C-504/16 und C-613/16 vom 20. Dezember 2017). Die Entscheidung ist nicht nur für entsprechende Altfälle von Interesse. Sie hat auch Signalwirkung für die aktuelle Fassung der Norm – und darüber hinaus für den unionsrechtlichen Missbrauchsbegriff generell.

Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG a.F.

50d Abs. 3 EStG a.F. sieht grundsätzlich eine Erstattung oder Freistellung von Kapitalertragsteuer für Gewinnausschüttungen an im EU-Ausland ansässige Muttergesellschaften vor. Kein Entlastungsanspruch besteht jedoch, wenn eine missbräuchliche Steuergestaltung vorliegt. Eine missbräuchliche Steuergestaltung nahm der deutsche Gesetzgeber in der alten Fassung des Gesetzes bereits dann an, wenn für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft „wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe“ fehlen, die ausländische Gesellschaft außer ihrer Holdingfunktion keiner „eigenen Wirtschaftstätigkeit“ nachgeht oder die ausländische Gesellschaft nicht am „allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr“ teilnimmt. Lag nur eine der drei Ausschlussgründe vor, war die Entlastung von der Kapitalertragsteuer ausgeschlossen.

Europarechtswidrigkeit der Missbrauchsvermeidungsregelung

Der EuGH sieht nun in der deutschen Missbrauchsvermeidungsregelung sowohl einen Verstoß gegen die Mutter-Tochter-Richtlinie als auch eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit. Eine Rechtfertigung zur Vermeidung von missbräuchlichen Gestaltungen scheide aus. Eine – wie hier – generelle Steuerregelung, mit der bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen automatisch vom Steuervorteil ausgenommen werden, kann den Anforderungen an eine zulässige Missbrauchsvermeidungsregelung nicht genügen. Denn die Norm bezweckt gerade nicht speziell, nur rein künstliche Gestaltungen auszuschließen. Sondern sie erfasst generell jede – auch nicht missbräuchliche – Konstellation. Sie begründet damit eine unwiderlegbare Missbrauchsvermutung und lässt keine Betrachtung des Einzelfalles in Form eines Gegenbeweises zu.

Implikationen der Entscheidung zu § 50d Abs. 3 EStG a.F.

Die Entscheidung zur deutschen Missbrauchsvermeidungsregelung hat nicht nur unmittelbare Folgen für die alte Fassung der Norm und damit für Altfälle. Denn auch die aktuelle Fassung des § 50d Abs. 3 EStG sieht keine Einzelfallregelung mit Gegenbeweismöglichkeit vor. Auch sie würde daher vermutlich den Anforderungen des EuGH an eine Missbrauchsvermeidungsregelung nicht genügen können.Sollte das zuständige Bundeszentralamt für Steuern entsprechende Anträge nunmehr auf Grundlage dieser Norm ablehnen, ist es ratsam vor dem Hintergrund dieser Entscheidung gegen die Ablehnung vorzugehen.

 

Daneben kann aber aus der Entscheidung auch abgeleitet werden, dass die Cadbury-Doktrin des EuGH – unabhängig von BEPS und ATAD – weiter Bestand hat: Nur Normen zur ausdrücklichen und zielgerichteten Vermeidung von rein künstlichen und missbräuchlichen Gestaltungen die eine Gegenbeweismöglichkeit vorsehen, sind mit dem Unionsrecht vereinbar.

 

Anm.: In dem Verfahren C-504/16 wurde der Kläger durch Flick Gocke Schaumburg – Prof. Dr. Jens Schönfeld und Dr. Christian Süß – vertreten.

 

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