Arbeitsgerichtliche Rechtsprechung in Zeiten von Corona

23.02.2021
Dr. Andreas WirtzDr. Ursula Neuhoff

Zwischen Lockdown und Lockerungen stellt die Corona-Pandemie auch die Arbeitsgerichte vor neue Herausforderungen. In der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung wurden im Verlauf der Corona-Krise vermehrt Themen wie Einführung von Kurzarbeit, Hygienemaßnahmen am Arbeitsplatz und virtuelle Zusammenkünfte des Betriebsrats behandelt. Vier relevante Entscheidungen in diesem Zusammenhang haben wir uns genauer angesehen.

Betriebsversammlungen in Zeiten von Corona: Präsenzveranstaltung oder virtuell?

Bei der Entscheidung, ob eine Betriebsversammlung in Präsenz oder als Videokonferenz abgehalten wird, hat der Betriebsrat Beurteilungsspielraum. Der Arbeitgeber kann den Betriebsrat nicht verpflichten, eine virtuelle Betriebsversammlung durchzuführen. Das Landesarbeitsgericht Hamm (5. Oktober 2020, 13 TaBVGa 16/20) betonte allerdings, dass der Arbeitgeber verpflichtet sei, dem Betriebsrat die Möglichkeit einer Betriebsversammlung als Online-Veranstaltung genau aufzuzeigen, um damit eine Alternative zu eröffnen. Entscheidet sich der Betriebsrat dennoch für die Abhaltung einer Präsenzveranstaltung unter Einhaltung der erforderlichen Corona-Schutzmaßnahmen und der empfohlenen Hygienekonzepte, muss der Arbeitgeber hierfür angemessen ausgestattete Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Im konkreten Fall mietete der Betriebsrat, nachdem der Arbeitgeber keine Räume im Betrieb zur Verfügung stellte, eine große Veranstaltungshalle, um die drei geplanten Teilveranstaltungen unter Einhaltung der geltenden Corona-Verordnung und Abstandsregelungendurchführen zu können. Das Gericht entschied, dass der Arbeitgeber auch die Kosten für die Anmietung von außerhalb des Betriebs liegenden Räumen zu tragen habe und verpflichtete den Arbeitgeber zur Zahlung eines Vorschusses in Höhe von insgesamt 8.400 Euro für die Hallenmiete.

 

Praxistipp: Die Möglichkeit, Betriebsversammlungen als Videokonferenz abzuhalten, wird durch die Sonderregelung aus Anlass der COVID-19-Pandemie in § 129 BetrVG eröffnet -zunächst bis Ende Juni 2021. Der Betriebsrat ist grundsätzlich frei in seiner Entscheidung, ob er eine Versammlung virtuell oder in Präsenz organisiert. Arbeitgeber haben allerdings die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten nur zu tragen, sofern diese zur ordnungsgemäßen Amtsausübung notwendig sind. Auf Seiten des Betriebsrats empfiehlt es sich, im Zweifelsfall ungewöhnlich geplante Aufwendungen mit dem Arbeitgeber abzusprechen, um ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes am Arbeitsplatz

Nachdem ein Arbeitgeber in einem Mitarbeiter-Schreiben das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung für Besucher und Beschäftigte angeordnet hatte, legte der Kläger ein Attest vor, nachdem er keinen Mund-Nasen-Schutz tragen könne. Als der Arbeitgeber ihn daraufhin anwies, außerhalb des Büros ein Gesichtsvisier zu tragen, legte der Kläger ein neues Attest vor, diesmal in Bezug auf das Tragen von Gesichtsvisieren jeglicher Art. Der Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Weiterbeschäftigung ohne Gesichtsbedeckung wurde vom Arbeitsgericht Siegburg zurückgewiesen, wie auch der Antrag auf Einrichtung eines Homeoffice-Arbeitsplatzes (16. Dezember 2020, 4 Ga 18/20). Zur Begründung führte das Gericht aus, dass dem Beschäftigungsanspruch das ordnungsgemäß ausgeübte Direktionsrecht des Arbeitgebers entgegenstehe, denn für den Arbeitgeber ergebe sich sogar eine Rechtspflicht zur Einführung einer Maskenpflicht im Betrieb aus seiner Fürsorgepflicht den Arbeitnehmern gegenüber. Dem vorgelegten Attest komme nur ein sehr geringer Beweiswert zu, da darin eine Befreiung von der Tragepflicht ohne Angabe von Gründen attestiert wurde. Aber selbst dann, wenn es dem Kläger tatsächlich nicht möglich sei, für wenige Minuten ein Gesichtsvisier zu tragen, überlagere der berechtigte Infektionsschutz der anderen Mitarbeiter und Besucher das Beschäftigungsinteresse des Klägers.

 

Praxistipp: Der Infektionsschutz und die Maskenpflicht am Arbeitsplatz können vom Arbeitgeber gegenüber seinen Mitarbeitern mit arbeitsrechtlichen Mitteln durchgesetzt werden. Die Möglichkeiten, die ihm dafür zur Verfügung stehen, wurden in der Entscheidung des Arbeitsgerichts Siegburg weiter präzisiert. Da das Gericht vor allem die Abwägung der Rechte der Arbeitnehmer mit dem Gesundheitsschutz der anderen Mitarbeiter betonte, bleibt abzuwarten, wie sich diese Argumentation auf andere Maßnahmen des Corona-Schutzes am Arbeitsplatz auswirken wird. Relevant könnten diese Überlegungen aber auch in Bezug auf die anstehende Corona-Impfung sein. Eine Verpflichtung zur Impfung mit dem Corona-Impfstoff wird wohl, wenn überhaupt, nur für bestimmte Berufsgruppen möglich sein, dennoch können Betriebe Anreize setzen, um die Impfbereitschaft der Mitarbeiter zu fördern.

Kurzarbeit: Einführung auch während der Corona-Pandemie nur nach Vereinbarung oder Änderungskündigung möglich

Kann der Arbeitgeber einseitig Kurzarbeit einführen? Mit dieser Frage hatte sich das Arbeitsgericht Siegburg jüngst zu befassen, als ein Arbeitnehmer Lohnansprüche gegen seine ehemalige Arbeitgeberin geltend machte (11. November 2020, 4 Ca 1240/20). Diese hatte zu Beginn der Corona-Pandemie mitgeteilt, dass in einigen Bereichen des Betriebs Kurzarbeit angemeldet werde. Die Beklagte kürzte daraufhin einen Teil des Gehalts des Klägers und bezeichnete die verbleibende Zahlung als „Kurzarbeitergeld“. Die Differenz zu seinem vollen Lohn klagte der Arbeitnehmer, der zwischenzeitlich außerordentlich gekündigt hatte, vor dem Arbeitsgericht ein.

 

Das Gericht gab ihm Recht. Der Arbeitgeber darf Kurzarbeit nur dann einseitig anordnen, wenn dies auf einer rechtlichen Grundlage beruht. Eine Betriebsvereinbarung, ein Tarifvertrag oder eine individuelle vertragliche Vereinbarung könnte ihn dazu berechtigen. Können Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich nicht auf die Einführung von Kurzarbeit einigen, bleibt dem Arbeitgeber noch die Möglichkeit einer Änderungskündigung. Die diesbezüglichen Anforderungen hat das Arbeitsgericht Stuttgart zuletzt präzisiert (22. Oktober 2020, 11 Ca 2950/20).

 

In dem in Stuttgart zu entscheidenden Fall hatte ein Arbeitgeber seine Mitarbeiterin gebeten, eine Vereinbarung zu unterzeichnen, die die Einführung von Kurzarbeit ermöglichen sollte. Als diese sich weigerte, sprach der Arbeitgeber eine fristlose Änderungskündigung aus, gegen die sich die Arbeitnehmerin vor Gericht wehrte. Sie argumentierte, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und daher unwirksam. Der Arbeitgeber wandte ein, dass die Änderungskündigung das letzte Mittel gewesen sei, um die Einführung von Kurzarbeit nach der abgelehnten arbeitsvertraglichen Lösung zu ermöglichen. Das Gericht entschied, dass eine fristlose Änderungskündigung im Einzelfall als betriebsbedingte Änderungskündigung gerechtfertigt sein kann, wenn sie auf dringenden betrieblichen Erfordernissen, wie etwa einem erheblichen Arbeitsausfall, beruhe. Weigert sich der Arbeitnehmer, bliebe dem Arbeitgeber anderenfalls die Möglichkeit zur Einführung von Kurzarbeit verwehrt, obwohl diese den Zweck habe, einen Abbau von Arbeitsplätzen zu verhindern.

 

Praxistipp: Durch die Tarifparteien oder in einer Betriebsvereinbarung können entsprechende Regelungen erzielt werden. Fehlt eine solche Grundlage und kann sie auch nicht geschaffen werden, etwa weil kein Betriebsrat existiert, muss der Arbeitgeber die Einführung der Kurzarbeit mit den Mitarbeitern einzelvertraglich vereinbaren. Wenn das misslingt, kommt als letztes Mittel eine Änderungskündigung in Betracht, die jedoch immer verhältnismäßig sein muss. Die Anforderungen hieran sind in der Praxis allerdings hoch. Eine angemessene Ankündigungsfrist, eine Begrenzung der Dauer der Kurzarbeit und das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung des Kurzarbeitergelds in der Person des Arbeitnehmers müssen im Einzelfall jedenfalls beachtet werden. Möglicherweise kommt auch als milderes Mittel vor Ausspruch der Kündigung der Abbau von etwaigen Überstundenguthaben in Betracht.