Am 07. Dezember 2022 hat die Europäische Kommission einen lange erwarteten Vorschlag für den sog. EU Listing Act vorgelegt. Erklärtes Ziel der Kommission ist es, die europäischen Kapitalmärkte für Unternehmen attraktiver zu gestalten. Kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) sollen leichteren Zugang zum Kapitalmarkt erhalten. Zu diesem Zweck soll es bei kapitalmarktrechtlichen Zulassungsfolgepflichten nun zu Entschärfungen kommen.

In diesem Beitrag werden die geplanten Änderungen im Insiderrecht und deren Relevanz für die Praxis vorgestellt. Weitere ausgewählte Änderungen, insbesondere zu Managers‘ Transactions / Directors‘ Dealings, Insiderlisten und zum Prospektrecht, stellen wir in einem separaten Beitrag vor.

Änderungen im Insiderrecht

Die Vorschläge zur Änderung zur Marktmissbrauchsverordnung (MAR), insbesondere zum Insiderrecht, wurden mit Spannung erwartet. Die im Rahmen des Konsultationsverfahrens (siehe hierzu Blog-Beitrag vom 25. Februar 2022) von der Kommission zur Diskussion gestellten Fragen machten deutlich, dass sich die Kommission mit der Definition von Insiderinformationen und der Ad-hoc-Veröffentlichungspflicht von Zwischenschritten sogenannter gestreckter Sachverhalte beschäftigt. Insbesondere letzteres ist auch in der Praxis ein häufiger Diskussions- und Beratungsschwerpunkt.

Ad-hoc-Pflicht von Zwischenschritten

Wie von der ESMA empfohlen, sieht der Kommissionsvorschlag jedoch keine Änderungen in der Definition einer Insiderinformation vor. Dagegen soll in den Text der MAR aufgenommen werden, dass in einem zeitlich gestreckten Vorgang keine Ad-hoc-Publizitätspflicht für Zwischenschritte bestehen soll. Die Veröffentlichungspflicht für das Endereignis bleibt selbstverständlich bestehen.

Diese Änderung ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Unterscheidung zwischen einer frühen Veröffentlichungspflicht wegen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Endergebnisses und der separaten Veröffentlichungspflicht eines Zwischenschrittes war in der Praxis schwer handhabbar. Fällt diese Unterscheidung weg, erleichtert dies die Prüfung einer Ad-hoc-Veröffentlichungspflicht. Zudem entfällt das unbefriedigende Szenario, dass ein (hinreichend gewichtiger) Zwischenschritt zu veröffentlichen sein kann, obwohl das Endergebnis noch unwahrscheinlich ist. Diese Fälle waren allerdings selten.

Zwischenschritte werden jedoch auch weiterhin auf ihre Insiderrelevanz zu prüfen sein, da sie weiterhin unter den Begriff der Insiderinformation fallen und das Insiderhandelsverbot auslösen. Insofern kommt es zu einem Paradigmenwechsel: Künftig wird zwischen solchen Insiderinformationen, die lediglich das Insiderhandelsverbot auslösen, und solchen, die zusätzlich eine Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung nach sich ziehen, zu differenzieren sein. Diese Unterscheidung gab es bislang nicht. Es stand jedoch schon länger zu Diskussion, ob diese Unterscheidung zu einer Erleichterung für Emittenten bei gleichbleibendem Schutz vor Insiderhandel führen kann.

Darüber hinaus wird die Kommission ermächtigt, eine nicht abschließende Liste potentieller Insiderinformationen zu erstellen und jeweils den Zeitpunkt festzulegen, zu dem vernünftigerweise erwartet werden kann, dass der Emittent sie offenlegt. Sobald die Kommission hiervon Gebrauch macht und eine solche Liste vorliegt, dürfte der Umgang mit Zwischenschritten leichter werden.

Aufschub der Veröffentlichung (sogenannte Selbstbefreiung)

Die Regelungen zum Aufschub der Ad-hoc-Veröffentlichung (Selbstbefreiung) sollen konkretisiert werden. Dazu sollen einige der Fallgruppen, die derzeit in den ESMA Leitlinien enthalten sind, direkt in den Text der MAR aufgenommen werden.

Hochgradig praxisrelevant ist dagegen der Vorschlag der Kommission, dass der Beschluss über den Aufschub der Veröffentlichung der zuständigen Behörde – in Deutschland also der BaFin – künftig unmittelbar nach der Beschlussfassung zuzuleiten sein soll. Bislang wird dieser Beschluss erst mit der späteren Ad-hoc-Veröffentlichung an die BaFin übersandt. Kommt die Insiderinformation nicht zum Entstehen, zum Beispiel weil die beabsichtigte Transaktion abgebrochen wird, muss nach derzeitigem Recht gar keine Meldung an die BaFin erfolgen. Der Kommissionsvorschlag dürfte darauf zielen, es den Aufsichtsbehörden zu ermöglichen, die Einhaltung des Insiderhandelsverbotes auch in solchen Fällen zu überwachen. Für die Emittenten dürfte dieser Vorschlag jedoch zur Folge haben, dass potentiell in Entstehung befindliche Insiderinformationen noch genauerem Monitoring ausgesetzt sind. Die Dokumentation einer Aufschubentscheidung muss folglich schon zu einem früheren Zeitpunkt geschehen.

Fazit

Viele der vorgeschlagenen Änderungen zielen darauf ab, das Insiderrecht zu vereinfachen. Emittenten sollen mehr Hilfestellung bei der Handhabung der Vorschriften erhalten. Dabei bleibt der Vorschlag der Kommission jedoch weitgehend innerhalb der bestehenden Regelungen. Er stellt nicht – wie von manchen erhofft und von manchen befürchtet – die relevanten Rechtsbereiche insgesamt auf den Prüfstand. Ob die geplanten Änderungen in Bezug auf Zwischenschritte tatsächlich zu einer spürbaren Erleichterung für die Emittenten führen, wird davon abhängen, ob die Kommission von der vorgeschlagenen Ermächtigung Gebrauch macht und Fallbeispiele und deren Veröffentlichungszeitpunkte definiert bzw. wie umfangreich und praxisnah diese Liste aussehen wird.

Dagegen dürfte die Pflicht, Entscheidungen über einen Aufschub einer Ad-hoc-Veröffentlichung unmittelbar an die BaFin zu übersenden, sowohl zu steigendem internen Compliance Aufwand als auch höheren Beratungskosten führen.

Der große Wurf der Kommission zur Vereinfachung des Europäischen Kapitalmarktrechts bleibt jedenfalls zunächst aus.