Nach einem Beschluss des Rates der Finanzminister der EU (ECOFIN) sollen die Mitgliedstaaten künftig mehr Freiheiten bei der Festlegung ermäßigter Steuersätze erhalten. Damit könnte Deutschland mehr Leistungen mit 7% statt mit 19% besteuern.

 

Neben der Ergänzung und der Konkretisierung des bereits bestehenden Katalogs für ermäßigt besteuerte Leistungen räumt der Rat für Wirtschaft und Finanzen erstmals allen Mitgliedstaaten die Möglichkeit zur Einführung eines Nullsteuersatzes ein. Der ECOFIN-Beschluss sieht allerdings vor, dass die Mitgliedstaaten lediglich 24 Posten des Verzeichnisses dem ermäßigten Steuersatz unterwerfen dürfen. Den Nullsteuersatz dürfte der deutsche Gesetzgeber nur auf 7 (ausgewählte) Posten des Verzeichnisses anwenden.

 

Von den möglichen Steuererleichterungen können neben Unternehmen aus den Bereichen der erneuerbaren Energien beispielsweise auch gemeinnützige Organisationen wie Inklusionsbetriebe und Werkstätten für behinderte Menschen, Lebensrettungsdienste, Lieferanten von (Elektro-)Fahrrädern oder Unternehmen im Bereich der Kinderbekleidungs- oder Kindersitzherstellung für Kraftfahrzeuge profitieren.

 

Ob diese Privilegierungen auch im nationalen Umsatzsteuerrecht „ankommen“, muss sich noch zeigen. Der deutsche Gesetzgeber hat ein Wahlrecht und müsste hiervon Gebrauch machen. Da der Koalitionsvertrag der Bundesregierung die Eindämmung des Klimawandels in besonderem Maße im Fokus hat, erscheint es allerdings naheliegend, dass zumindest Teile der neuen Steuererleichterungen auch in nationales Recht umgesetzt werden. Zu den umsatzsteuer- und gemeinnützigkeitsrechtlichen Vorhaben vgl. "Ampel-Koalition sieht Reformbedarf bei der Umsatzsteuer"/"Pläne der Ampel-Koalition im Gemeinnützigkeitsbereich".

Hintergrund

Die EU-Vorschriften über die Mehrwertsteuersätze galten schon länger als nicht mehr zeitgemäß. Bereits im Jahr 2018 hatte die Kommission daher eine Reform der Mehrwertsteuersätze vorgeschlagen. Diese sollte ursprünglich sogar die Anwendungsbereiche des ermäßigten Steuersatzes fast gänzlich freigeben. Zu einer Umsetzung dieses Vorhaben kam es bisher nicht. Nunmehr hat sich ECOFIN auf eine abgeschwächte Variante des geplanten Vorhabens einigen können – unter Beibehaltung des bekannten, aber gleichwohl um einige Positionen erweiterten numerus clausus. Die bisher nur übergangsweise geduldeten Regelungen zum Nullsteuersatz einiger Mitgliedstaaten werden zugunsten aller Mitgliedstaaten übernommen.

Neu erfasste Bereiche

Zukünftig sollen auch Tätigkeiten einem ermäßigten Steuersatz unterliegen, für welche eine solche Behandlung bisher nicht vorgesehen war. Dies betrifft insbesondere Unternehmen aus den Bereichen der erneuerbaren Energien. Vor diesem Hintergrund könnten sich Steuererleichterungen im Zusammenhang mit der Lieferung und Installation von Solarpaneelen oder der Lieferung von Elektrizität, Fernwärme, Fernkälte und Biogas ergeben, sofern für die Energiegewinnung spezielle Rohstoffe verwendet wurden.

 

Neu ist auch, dass die Lieferung von (Elektro-)Fahrrädern, Kinderbekleidung und Kindersitzen für Kraftfahrzeuge sowie bestimmte Rechtsdienstleistungen bald dem ermäßigten Steuersatz unterliegen könnten.

 

Auch für den Bezug von Geräten und Ausrüstung, welche üblicherweise für den Einsatz bei Rettungs- oder Notdiensten bestimmt sind, ist eine Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes vorgesehen. Dies soll zumindest gelten, wenn die Lieferung beispielsweise an gemeinnützige Organisationen erfolgt, die im Bereich des Katastrophenschutzes tätig sind, wie z.B. der Corona-Bekämpfung.

Ausweitung bisheriger Bereiche

Auch bereits bekannte Bereiche sollen ausgeweitet werden. So wird beispielsweise die bereits bekannte Möglichkeit zur Anwendung der ermäßigten Steuersätze auf die Lieferung von Büchern, Zeitungen und Ähnlichem auf die Herstellung von Veröffentlichungen von gemeinnützigen Organisationen sowie Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit dieser Herstellung bestehen, erweitert.

 

Auch die Leistungen gemeinnütziger Organisationen dürften zukünftig leichter dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. Die restriktive Handhabung der Rechtsprechung, welche jüngst auch in der Entscheidung des BFH vom 26. August 2021 (V R 5/19) zum Tragen gekommen ist, basiert auf einer Interpretation des bisherigen EU-Rechts und könnte sich mit dessen Änderung weitgehend erübrigen, auch ohne dass der deutsche Gesetzgeber tätig wird.

 

Ferner sollen nun auch der Zugang zu unterschiedlichen Live-Streaming-Angeboten im Sportbereich und die im Rahmen einer Digitalisierungspolitik bereitgestellten Internetzugangsdienste dem ermäßigten Steuersatz unterliegen dürfen

Neue Möglichkeit zur Festlegung eines Nullsteuersatzes

Für Deutschland gänzlich neu ist die Möglichkeit zur Einführung eines ermäßigten Steuersatzes, der weniger als 5% beträgt. Außerdem soll bei bestimmten besonders begünstigten Leistungen aus dem Katalog die Möglichkeit zur Ausgestaltung eines Nullsteuersatzes bestehen. Hierbei handelt es sich um eine Steuerbefreiung mit dem gleichzeitigen Recht auf Vorsteuerabzug.

Beschränkung bei der Umsetzung

Sollte der deutsche Gesetzgeber nach Umsetzung der vorgeschlagenen Richtlinie in europäisches Recht die Übernahme in nationales Recht beabsichtigen, würde er hierbei zwei wichtigen Restriktionen zu beachten haben. Im Rahmen seines Wahlrechts dürfte der Gesetzgeber maximal 24 Positionen des Verzeichnisses dem ermäßigten Steuersatz zuordnen. Die Verteilung des Nullsteuersatzes muss sich auf sieben Positionen beschränken.

Möglicher Einführungszeitpunkt in Deutschland

Das Europäische Parlament kann nun zu dem ECOFIN-Beschluss Stellung nehmen. Danach soll der Rat die Richtlinienänderung formal beschließen. Hiermit kann wohl noch in der ersten Jahreshälfte des Jahres 2022 gerechnet werden.

Umsetzungsbedarf durch den Gesetzgeber

Damit die neuen Privilegierungen in Deutschland auch zur Anwendung kommen können, ist schlussendlich ein Tätigwerden des Gesetzgebers gefordert. Da es sich um ein Mitgliedstaatenwahlrecht handelt, muss Deutschland die Änderungen nicht oder nicht vollständig umsetzen. Es bleibt abzuwarten wie sich die neue Bundesregierung insoweit verhält.