Hinzurechnungsbesteuerung kann Kapitalverkehrsfreiheit beschränken

05.03.2019

Seit geraumer Zeit steht die Frage im Raum, ob die deutschen Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung die Kapitalverkehrsfreiheit beschränken. Dies ist vor allem in Fällen bedeutsam, die Drittstaaten berühren. Denn hier kann der  Steuerpflichtige die Hinzurechnungsbesteuerung nicht nach § 8 Abs. 2 AStG dadurch abwenden, dass er wirtschaftliche Gründe nachweist. Für die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter hat der EuGH in der mit Spannung erwarteten Rs. X GmbH (C-135/17) nunmehr auch hierfür die Weichen gestellt. Bedauerlicherweise offen geblieben ist jedoch die Frage, ob ein Drittstaatenschutz aufgrund der Fortbestandsgarantie entfallen muss.

Der Fall

Die im Inland ansässige X GmbH war zu 30% an der in der Schweiz ansässigen Y AG beteiligt. Die Y AG hatte mit der Z GmbH einen Forderungskauf- und Übergabevertrag geschlossen. Sie erzielte hieraus Gewinne, die durch die Finanzverwaltung als Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter qualifiziert und sodann der Hinzurechnungsbesteuerung bei der X GmbH unterworfen wurden. Nachdem sowohl Einspruchs- als auch Klageverfahren vor dem Finanzgericht ohne Erfolg geblieben waren, legte der BFH die Regelungen dem EuGH zur Prüfung vor, weil er an der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht zweifelte (Beschluss v. 12.10.2016, I R 80/14). Der EuGH bekam so Gelegenheit, die Regelungen zur (erweiterten) Hinzurechnungsbesteuerung anhand der Kapitalverkehrsfreiheit zu überprüfen. Spannend und von praktischer Bedeutung war dies insbesondere deshalb, weil die Kapitalverkehrsfreiheit auch Beteiligungen an Gesellschaften in Drittstaaten schützen kann, die aus europarechtlichen Gründen geschaffene Rückausnahme (§ 8 Abs. 2 AStG) aktuell aber nur auf EU/EWR-Fälle Anwendung findet.

Vorlagefragen des BFH

Der BFH legte dem EuGH drei Fragen zur Vorabentscheidung vor:

 

Im Rahmen seiner ersten beiden Vorlagefragen wollte er im Kern zur Prüfung stellen, ob die Regelungen zur erweiterten Hinzurechnungsbesteuerung durch die sog. Fortbestandsgarantie (Art. 64 Abs. 1 AEUV) geschützt sind. Vereinfacht formuliert wird hierüber ein Bestandsschutz für solche Regelungen gegenüber Drittstaaten gewährt, die in Bezug auf Direktinvestitionen eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit hervorrufen. Sie müssen dazu aber bereits zum 31.12.1993 bestanden haben. Zwar ist dies für die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung im Grunde zu bejahen. Gleichwohl hatte der BFH Zweifel, ob zum einen die späteren Veränderungen der Vorschriften (hier insbesondere die Absenkung der erforderlichen Beteiligungsschwelle von einst 10% auf 1%) nicht derart umfangreich ausfielen, dass faktisch von einer Neuregelung (nach dem für die Fortbestandsgarantie maßgeblichen Stichtag) auszugehen war.

 

Zum anderen fragte der BFH, ob die Fortbestandsgarantie ausgehebelt werde, weil die Vorschriften zur Hinzurechnungsbesteuerung durch ein Gesetz (StSenkG 2000) verändert wurden, das zwar rechtlich in Kraft getreten war praktisch, aber nie Anwendung fand, weil es noch vor dem Zeitpunkt seiner erstmaligen Anwendung bereits wieder aufgehoben wurde (UntStFG 2001).

 

Von größter Bedeutung war schließlich aber die dritte Vorlagefrage für den Fall, dass die besagte Fortbestandsgarantie hier keine Anwendung findet. Denn hierfür fragte der BFH an, ob eine Anwendung der Regelungen zur erweiterten Hinzurechnungsbesteuerung (§ 7 Abs. 6, 6a AStG) gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt.

Entscheidung des EuGH

Fortbestandsgarantie offen

Zur ersten Vorlagefrage führte der EuGH aus, dass die Regelungen zur erweiterten Hinzurechnungsbesteuerung trotz Absenkung der erforderlichen Beteiligungsschwelle von 10% auf 1% von der Fortbestandsgarantie geschützt sind. Zwar war es möglich, seither auch Portfoliobeteiligungen zu erfassen. Vorher wie nachher konnten den Vorschriften im Einzelfall aber auch Beteiligungen größeren Ausmaßes und damit ebenso Direktinvestitionen unterworfen werden.

 

In Bezug auf die zweite Vorlagefrage kam der EuGH hingegen zu dem Ergebnis einer möglichen Unanwendbarkeit der Fortbestandsgarantie. Insbesondere wird bejaht, dass auch ein Gesetz, welches praktisch nie zur Anwendung gelangen konnte, die für die Fortbestandsgarantie notwendige Geltung bestehender Beschränkungsregelungen zeitlich und damit schädlich unterbrechen kann. Entscheidend hierfür ist allerdings die Frage, ob dieses Gesetz im Zeitpunkt seines Inkrafttretens tatsächlich anwendbar war oder nicht. Dies zu prüfen ist allerdings Sache der nationalen Finanzgerichte.

Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit möglich

Losgelöst von der Fortbestandsgarantie kann die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung nach Auffassung des EuGH die Kapitalverkehrsfreiheit beschränken. Auf einer Linie mit den Cadbury Schweppes-Grundsätzen (C-196/04) sieht der EuGH insbesondere die Notwendigkeit, der Steuerumgehung und Steuerhinterziehung vorzubeugen. Im Grundsatz müsse hierfür aber im Einzelfall geprüft werden, ob die ausländische Gesellschaft einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht oder sich ihre Einschaltung als rein steuerlich motivierte und somit allein steuerlich motivierte Gestaltung entpuppt. Hierfür können die in Cadbury Schweppes vom EuGH entwickelten Anhaltspunkte auch im Kontext der Kapitalverkehrsfreiheit als Indizien herangezogen werden.

Zweistufige Prüfung der Verhältnismäßigkeit

In Bezug auf Drittstaaten belässt es der EuGH schließlich aber nicht bei dem (wie in § 8 Abs. 2 AStG enthaltenen) Erfordernis, dem Steuerpflichtigen im Rahmen eines Motivtest die Möglichkeit zu eröffnen, wirtschaftliche Gründe für die Gestaltung darzulegen. Vielmehr ist insoweit eine zweistufige Prüfung notwendig:

 

Als Erstes ist zu prüfen, ob mit dem betreffenden Drittstaat zwischenstaatliche Vereinbarungen über den Informationsaustausch bestehen. Diese müssten es der deutschen Finanzverwaltung ermöglichen, die Richtigkeit von Informationen in Bezug auf die dort ansässige Gesellschaft und deren Tätigkeiten zu überprüfen, die durch den Steuerpflichtigen als Nachweis vorgelegt werden, dass vor Ort keine künstliche Gestaltung vorliegt.

 

Nur wenn eine solche zwischenstaatliche Vereinbarung besteht, ist dem Steuerpflichtigen – wie in Cadbury Schweppes – die Möglichkeit einzuräumen, wirtschaftliche Gründe für seine Beteiligung an der Drittstaatengesellschaft nachzuweisen. Nicht zu gewähren ist diese Möglichkeit hingegen dann, wenn ein zwischenstaatliches Informationsabkommen fehlt und die deutschen Finanzverwaltung deshalb ohnehin gehindert wäre, die Angabe des Steuerpflichtigen auf Richtigkeit hin zu überprüfen.

Praxisfolgen

Auf den ersten Blick scheint der EuGH in Bezug auf Drittstaaten im Bereich der Verhältnismäßigkeitsprüfung höhere Hürden für den Steuerpflichtigen aufspannen zu wollen. Bei Licht betrachtet muss man allerdings sehen, dass auch § 8 Abs. 2 Satz 2 AStG einen zwischenstaatlichen Informationsaustausch auf der Grundlage der EU-Amtshilferichtlinie erfordert. In Abhängigkeit vom Einzelfall liegen die Dinge deshalb möglicherweise gar nicht so viel anders, als in § 8 Abs. 2 AStG. Und in Bezug auf die Schweiz dürften auf der Grundlage des am 27. Mai 2015 geschlossenen Abkommens über den automatischen Informationsaustausch gute Gründe für die Notwendigkeit einer Nachweismöglichkeit auf Seiten des Steuerpflichtigen sprechen. Ob dessen bzw. der Anwendungsbereich des § 8 Abs. 2 AStG auch auf Drittstaaten ausgedehnt und der deutsche Gesetzgeber somit tätig werden muss, hängt schlussendlich aber davon ab, zu welchem Ergebnis nunmehr die Finanzgerichte in Bezug auf die Geltung die Fortbestandsgarantie gelangen werden.