Digitale Handelsplattformen sind derzeit in aller Munde: Immer mehr Unternehmen entwickeln, betreiben und verwenden digitale Handelsplattformen, um am Onlinehandel teilzunehmen. Dies gilt erst recht in einer Zeit, in der für den stationären Handel erhebliche Einschränkungen gelten. Die kartellrechtliche Praxis muss diese Entwicklung aktiv begleiten.

 

Mit Betrieb und Nutzung von digitalen Handelsplattformen stellen sich die Unternehmen auf die Herausforderungen der digitalen Ökonomie ein und sichern ihre Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit. Digitale Handelsplattformen dienen aufgrund des großen Reichweitenpotenzials der Optimierung des Vertriebs und der besseren Vernetzung mit der Marktgegenseite. Sie sind zumeist entweder für Einkauf und Vertrieb im Verhältnis von Unternehmen untereinander (B2B) oder für den Verkauf an den Endkunden (B2C) konzipiert. Soweit auf der Plattform nur Verbraucher miteinander handeln (C2C), findet das Kartellrecht allenfalls auf den Betreiber selbst (z.B. eBay) Anwendung. Marktführend in Deutschland und Europa ist Amazon mit der digitalen Handelsplattform Amazon Marketplace. Amazon nutzt die Handelsplattform, um den Eigenhandel und auch benachbarte Dienste stetig auszuweiten. Mit eigenen digitalen Handelsplattformen wollen sich Intersport, DocMorris und andere für den Wettbewerb mit den Großen des Geschäfts, vor allem mit Amazon, rüsten. Eine ganze Reihe digitaler Marktplätze gibt es in der Werbewirtschaft (siehe dazu unseren Blog-Beitrag zu den digitalen Themen der 10. GWB-Novelle).

Schnittstellen digitaler Handelsplattformen mit dem Kartellrecht

Die Abwicklung von Onlinehandel über digitale Handelsplattformen ist nicht wettbewerbsneutral, daher findet das Kartellrecht uneingeschränkt Anwendung. Das Kartellverbot aus Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 1 GWB untersagt Verhaltenskoordinationen mehrerer Unternehmen, die Wettbewerbsbeschränkungen bewirken oder bezwecken. Aufgrund des Missbrauchsverbots ist es  marktbeherrschenden oder marktstarken Unternehmen zudem untersagt, ihre Marktmacht missbräuchlich auszunutzen und den bereits geschwächten Wettbewerb weiter einzuschränken.

 

Verschiedene wettbewerbsrelevante Effekte digitaler Handelsplattformen sind denkbar. Ebenso wie in "analogen" Handelsgeschäften sind vertikale und horizontale Wettbewerbsbeschränkungen sowie der Austausch wettbewerblich sensibler Informationen zwischen Wettbewerbern auch im e-Commerce problematisch (siehe auch unsere Blog-Beiträge zur Guess-Entscheidung der Europäischen Kommission und zur Geoblocking-VO). Hersteller dürfen auf Plattformen tätigen Händlern nur kartellrechtskonforme Vorgaben machen (siehe dazu unseren Blog-Beitrag zur Coty-Entscheidung des EuGH). Die Abläufe auf der Handelsplattform dürfen unter anderem auch nicht zu einer wettbewerbsschädigenden Markttransparenz auf dem konkreten Markt führen, die Preisabsprachen der auf der Plattform tätigen Wettbewerber ermöglicht oder erleichtert. Ist der Betreiber der digitalen Handelsplattformen zugleich Wettbewerber der Unternehmen, die die Plattform als Marktplatz nutzen, entstehen besondere Verhaltenspflichten. Insoweit sind missbräuchliche Verhaltensweisen im Rahmen des Betriebes der digitalen Handelsplattformen denkbar. Diese können z.B. in Form intransparenter Zugangsbedingungen oder unterschiedlicher Geschäftsbedingungen für Unternehmen vorliegen. Insbesondere Amazon sah sich in den vergangenen Jahren dem Vorwurf missbräuchlicher Verhaltensweisen ausgesetzt.

Entscheidungspraxis des Bundeskartellamtes zu digitalen Handelsplattformen

Das Bundeskartellamt hat sich in jüngster Zeit mehrfach mit den kartellrechtlichen Leitplanken für digitale Handelsplattformen beschäftigt; zuletzt mit Plattformen

Grundsätzlich begrüßt das Bundeskartellamt digitale Handelsplattformen, da diese in der Regel zu Effizienzsteigerungen in Form optimierter Vertriebsabläufe führen. Handelsplattformen stärken den Wettbewerb, weil auch kleinere Unternehmen, die zum Betrieb eines eigenen Onlineshops wirtschaftlich nicht in der Lage sind, über digitale Handelsplattformen am Onlinehandel teilnehmen und neue Märkte und Kundenkreise erschließen können.

 

Das Bundeskartellamt legt jedoch großen Wert darauf, dass Bereitstellung und Nutzung einer digitalen Handelsplattform nicht zu Abstimmungen und Vereinbarungen der auf der Plattform tätigen Unternehmen führen, die über das zur Effizienzsteigerung erforderliche Maß hinausgehen. Zudem darf die Handelsplattform nicht zu unrechtmäßigen Wettbewerbsvorteilen des Plattformbetreibers führen.

 

In seinen Fallberichten und Pressemitteilungen nennt das Bundeskartellamt Maßnahmen, die wettbewerbsschädigende Auswirkungen, insbesondere einen kartellrechtswidrigen Informationsfluss, verhindern können. Für die kartellrechtliche Bewertung im Einzelfall ist eine Gesamtabwägung der von dem Plattformbetreiber getroffenen Maßnahmen maßgeblich. Die Veröffentlichungen des Bundeskartellamtes haben insofern Leitbildfunktion, aber keine strenge Präzedenzwirkung. Die Verantwortung für die kartellrechtliche Compliance einer digitalen Handelsplattform liegt im Ausgangspunkt beim Betreiber und den auf ihr tätigen Unternehmen.

Wettbewerbsschädigende Markttransparenz

Eine wettbewerbsschädigende Markttransparenz kann zum einen im Verhältnis der auf der Plattform vertretenen Anbieter und/oder Kunden untereinander entstehen. Erlangen die Anbieter/Kunden aufgrund der Funktionsweise der Handelsplattform Kenntnis nichtöffentlicher Geschäftsdaten ihrer Wettbewerber, kann dies zu einer Angleichung des Angebots- oder Nachfrageverhaltens auf der jeweiligen Marktstufe führen. Zum anderen besteht die Gefahr einer (einseitigen) wettbewerbsschädigenden Markttransparenz, wenn der Plattformbetreiber oder ein mit diesem verbundenes Unternehmen zugleich in demselben Markt als Anbieter oder Kunde tätig ist. Der Plattformbetreiber ist dann unter Umständen in der Lage, nichtöffentliche Geschäftsdaten der auf der digitalen Handelsplattform tätigen Unternehmen einzusehen und zum eigenen Vorteil zu verwenden. Dieses Verhalten wirft die Europäische Kommission Amazon in dem derzeit laufenden Verfahren vor (Europäische Kommission, Pressemitteilung vom 10. November 2020, Case. No. 40462 – Amazon).

Compliance beim Informationsfluss der Anbieter/Kunden untereinander

Um einen wettbewerbswidrigen Informationsaustausch über die digitale Plattform zu verhindern, eignet sich eine abgestufte Transparenz für sensible Daten, die über einen Login-basierten Plattformzugang erreicht werden kann. Vor dem ersten Login erfolgt eine eindeutige Registrierung des jeweiligen Neukunden, z.B. mittels der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. Außerhalb des Login-Bereichs wäre eine Anzeige konkreter Preise oder Verfügbarkeiten ausgeschlossen. Nach einem Login sind Angebotsdaten, wie etwa Preise, Mengen und die örtliche Verfügbarkeit zunächst nur anonymisiert einsehbar. Der Vertragspartner wird erst im letzten Schritt vor Vertragsschluss offengelegt. Zudem sollte technisch sichergestellt werden, dass der Zugang zu kundenspezifischen Informationen ausschließlich dem jeweiligen Anbieter und Kunden gewährt wird. Mit diesen Maßgaben hat das Bundeskartellamt der erwähnten Mineralölhandelsplattform grünes Licht gegeben (vgl. Fallbericht vom 9. September 2020, B8-94/19, S. 2 – Mineralölhandelsplattform). 

 

Beabsichtigt der Plattformbetreiber, Marktstatistiken zu veröffentlichen, ist bei der Veröffentlichung von Preisen die Aggregierung der Daten zu einem Durchschnittspreis erforderlich (Bundeskartellamt, Pressemitteilung vom 5. Februar 2020 – Agrarhandelsplattform).

Problematischer Informationsgewinn des Plattformbetreibers

Ist der Plattformbetreiber selbst direkt oder indirekt auf der Plattform oder zumindest auf demselben Markt wie die auf der Handelsplattform vertretenen Anbieter oder Kunden tätig, bedarf es nach dem Bundeskartellamt einer hinreichenden organisatorischen, technischen, personellen und informatorischen Trennung der Plattform von den übrigen Geschäftsbereichen. Dies erfordert regelmäßig eine eigenständige Gesellschaft für den Betrieb der Handelsplattform. Zudem sollen die gesellschaftsrechtlichen Auskunfts- und Einsichtsrechte, insbesondere nach § 51a Abs. 1 GmbHG, der im selben Markt tätigen Gesellschafter ausgeschlossen werden (Bundeskartellamt, Fallbericht vom 27. März 2018, B5-1/18-001, S. 3 – Stahlhandelsplattform). Diese Maßnahmen verhindern kartellrechtswidrige Informationsflüsse, welche die Europäische Kommission etwa Amazon jüngst vorgeworfen hat (Pressemitteilung vom 10. November 2020, Case. No. 40462 – Amazon). In unserer Praxis schulen wir Geschäftsführer und Mitarbeiter der Plattform gezielt auch in Bezug auf die Weitergabe von Informationen an den oder die Gesellschafter.

Diskriminierungsfreier Zugang zu digitalen Handelsplattformen

Das Bundeskartellamt hat allgemein formuliert, dass digitale Handelsplattformen nicht diskriminierend wirken dürfen (Bundeskartellamt, Pressemitteilung vom 5. Februar 2020 – Agrarhandelsplattform). Hierzu zählt insbesondere, dass die Zugangsbedingungen keine Benachteiligung kleinerer bzw. umsatzschwächerer Händler enthalten dürfen. Zudem müssen die Zugangsbedingungen transparent, d.h. für alle Unternehmen frei einsehbar, sein.

 

In diesem Zusammenhang hat sich das Bundeskartellamt mit der digitalen Handelsplattform von Intersport auseinandergesetzt (Bundeskartellamt, Pressemitteilung vom 25. Juni 2020 – Intersport-Plattform). Die Plattform von Intersport ist nach dem Streckengeschäftsmodell aufgebaut: Die Intersport-Händler geben Verkaufsangebote über die Handelsplattform ab. Die Handelsplattform leitet wiederum die Bestellvorgänge der Endkunden nach einem Verteilungsschlüssel an einen Intersport-Händler. Die Kaufverträge kommen anschließend zwischen dem Endkunden und der Handelsplattform sowie der Handelsplattform und dem jeweiligen Intersport-Händler zustande.

 

Das Bundeskartellamt billigte die Intersport-Handelsplattform, da diese primär eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit gerade kleinerer Händler bewirke, betonte allerdings auch an dieser Stelle die Notwendigkeit eines diskriminierungsfreien Zugangs und der Transparenz der Zugangsbedingungen.

Beschwerdepunkte gegenüber Amazon als Betreiber einer digitalen Handelsplattform

Sowohl die Europäische Kommission als auch das Bundeskartellamt haben bereits gegen Amazon wegen kartellrechtlicher Verstöße aufgrund der Konditionen und Funktionsweise von Amazon Marketplace ermittelt. Zwar darf jedes Unternehmen darauf hinarbeiten, die eigene Marktstellung auszubauen. Amazon treffen aufgrund der marktbeherrschenden Stellung im Bereich der Marktplatz-Dienste aber besondere Verhaltenspflichten. Amazon darf die marktbeherrschende Stellung nicht missbräuchlich ausnutzen, wenn dies Wettbewerber im Plattformmarkt oder im relevanten Handelsmarkt weiter schwächt. Diesem Vorwurf war bzw. ist Amazon in Verfahren der Europäischen Kommission und des Bundeskartellamtes ausgesetzt.

Nutzung nichtöffentlicher Geschäftsdaten zum eigenen Vorteil

Die Europäische Kommission wirft Amazon in dem jüngsten Verfahren vor, nichtöffentliche Geschäftsdaten der Händler, die Amazon aufgrund der Eigenschaft als Plattformbetreiber vorlagen, zum eigenen Vorteil genutzt zu haben (Pressemitteilung vom 10. November 2020, Case. No. 40462 – Amazon). Dazu zählt die Kommission beispielhaft die Zahl der bestellten und ausgelieferten Produkte, die von den Händlern über den Marketplace erzielten Einnahmen, die Anzahl der Aufrufe von Angeboten der Händler, die Versanddaten, die bisherige Aktivität der Verkäufer und die geltend gemachten Verbraucherrechte für Produkte. Die Kommission wirft Amazon vor, diese Daten für das eigene Einzelhandelsgeschäft genutzt und eigene Angebote sowie strategische Geschäftsentscheidungen daran ausgerichtet zu haben.

 

Die Kommission verlangt, dass ein marktstarker Plattformbetreiber wie Amazon keinen Zugriff auf nichtöffentliche Geschäftsdaten der auf der Plattform tätigen Händler hat. Die Amazon vorgeworfene unbefugte Verwendung nichtöffentlicher Geschäftsdaten zum eigenen Vorteil ließe sich mithilfe der vom Bundeskartellamt genannten Maßnahmen verhindern.

Amazons Geschäftspraxis zum Einkaufswagen-Feld und zu „Prime“-Belieferungen

In demselben Verfahren (Case. No. 40462) untersucht die Kommission die Kriterien für den Einsatz des Einkaufswagen-Feldes und die Ermöglichung einer „Prime“-Belieferung durch Amazon als Betreiber der digitalen Handelsplattform. Bei dem Einkaufswagen-Feld handelt es sich um ein gut sichtbares Icon. Hiermit können die Kunden die Waren des jeweiligen Anbieters direkt in ihren Einkaufswagen legen. Über dieses Icon wird der überwiegende Teil aller Verkäufe generiert. Daher ist die Zuweisung des Einkaufswagen-Feldes für den jeweiligen Händler von wesentlicher Bedeutung. Zudem untersucht die Kommission die Kriterien, nach denen Amazon Anbietern ermöglicht, „Prime“-Kunden zu beliefern. Die Anzahl an „Prime“-Kunden wächst stetig und „Prime“-Kunden kaufen überdurchschnittlich viel auf der Plattform. Daher haben die Händler ein erhebliches Interesse daran, „Prime“-Belieferungen anbieten zu können.

 

Die Kommission vermutet, dass Amazon eigene Einzelhandelsangebote und Angebote von Unternehmen, welche die Logistik- und Zustellungsdienste von Amazon nutzen, mit der Zuweisung des Einkaufswagen-Feldes und der Ermöglichung von „Prime“-Belieferungen bevorzugt behandelt.

Missbräuchliche Allgemeine Geschäftsbedingungen auf digitalen Handelsplattformen

Das Bundeskartellamt hat in einem Missbrauchsverfahren einzelne Geschäftsbedingungen und Verhaltensweisen gegenüber unabhängigen Händlern auf dem deutschen Amazon-Marketplace beanstandet (Bundeskartellamt, Fallbericht vom 17. Juli 2019, B2-88/18 – Amazon). §§ 19, 20 GWB verbieten unter anderem die missbräuchliche Ausbeutung der Marktgegenseite und die Behinderung von Wettbewerbern. Amazon soll die auf dem deutschen Marketplace tätigen unabhängigen Händler unter anderem mit intransparenten Geschäftsbedingungen, einseitig belastenden Regelungen hinsichtlich Rechtswahl, Gerichtsstand und Haftungsausschluss, einem unbeschränkten Recht zur Kündigung und Sperrung von Händlern ohne Begründung, der Einräumung von Nutzungsrechten an Produktmaterial zugunsten von Amazon und (zu) kundenfreundlichen Retouren und Erstattungen missbräuchlich benachteiligt haben.

 

Amazon hat daraufhin die Geschäftsbedingungen hinsichtlich der beanstandeten Punkte nicht nur für den deutschen Marketplace, sondern weltweit für alle Online-Marketplaces angepasst bzw. geändert (Bundeskartellamt, Fallbericht vom 17. Juli 2019, B2-88/18 – Amazon). Dies zeigt, dass sich Händler, die auf die Nutzung einer etablierten Handelsplattform angewiesen sind, sich nicht alles gefallen lassen müssen.

Preisparitätsklausel

Ein weiteres Verfahren hat das Bundeskartellamt gegen Amazon wegen des Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV bzw. § 1 GWB schon vor einiger Zeit geführt. Gegenstand des Verfahrens war die Verpflichtung von Händlern zur Preisparität, d.h. das Verbot, Waren an anderer Stelle im Internet günstiger anzubieten. Diese Vertragsregelung behinderte andere Plattformanbieter und dämpfte den Preiswettbewerb. Das Bundeskartellamt hat das Verfahren nach vollständiger Aufgabe der Preisparitätsklausel seitens Amazons eingestellt (Bundeskartellamt, Fallbericht vom 9. Dezember 2013, B6-46/12 ­– Amazon-Preisparität).

Fazit

Digitale Handelsplattformen stellen für viele Unternehmen eine gute (und für kleine Anbieter oft die einzige) Möglichkeit dar, den Vertrieb mit einer großen Reichweite über das Internet aufzuziehen. Dies gilt insbesondere in einer Zeit mit Pandemie-bedingten Einschränkungen beim stationären Handel. Das Bundeskartellamt hat den Unternehmen in der noch jungen Entscheidungspraxis Maßnahmen an die Hand gegeben, die für die kartellrechtliche Compliance hilfreich sind. Die Unternehmen sind dabei selbst dafür verantwortlich, dass das Konzept der Handelsplattform, die sie betreiben oder nutzen, kartellrechtskonform ist.