Neues zum Vollzugsverbot: BGH setzt Grenzen für voreilige Unternehmen

21.03.2018

Muss ein Zusammenschlussvorhaben beim Bundeskartellamt angemeldet werden, dürfen die Parteien bis zur Freigabe keine Maßnahmen ergreifen, die den Zusammenschluss verwirklichen (sog. Vollzugsverbot). Doch ab wann ist das Vollzugsverbot verletzt? Welche Maßnahmen sind noch zulässige Vorbereitungshandlung? Der Beschluss KVR 57/16 – Edeka/Tengelmann des BGH zeigt, dass nur ein schmaler Grat dazwischen verlaufen kann.

Berechtigtes Interesse der Unternehmen an vorbereitenden Maßnahmen

Während das Bundeskartellamt der Einhaltung des Vollzugsverbotes große Bedeutung zumisst, ist den Unternehmen das Risiko eines Gesetzesverstoßes oft gar nicht bewusst. Für die beteiligten Parteien ist zwar durchaus nachvollziehbar, dass bei anmeldepflichtigen Zusammenschlüssen ohne die behördliche Genehmigung keine Anteile oder Vermögenswerte übertragen werden dürfen. Es ist aber auch allzu verständlich, dass die Parteien Maßnahmen ergreifen wollen, die die Integration schon vor Genehmigungserteilung und closing zumindest „vorbereiten“. Dies gilt vor allem dann, wenn – wie in den meisten Fällen – eine positive Entscheidung des Bundeskartellamtes absehbar ist, sodass die ausgeführten Handlungen später ohnehin legitimiert werden. Aus diesen Gründen fehlt es den Unternehmen zuweilen an dem Bewusstsein, mit den aus ihrer Sicht lediglich vorbereitenden Maßnahmen bereits gegen das Vollzugsverbot zu verstoßen.

Die Grundsätze des Vollzugsverbotes

Sowohl im deutschen als auch im europäischen Kartellrecht darf ein anmeldepflichtiger Zusammenschluss vor der Freigabe durch das Bundeskartellamt bzw. die Kommission nicht vollzogen werden (§ 41 Abs. 1 GWB bzw. Art. 7 Abs. 1 FKVO).  Das Vollzugsverbot soll verhindern, dass anmeldepflichtige Zusammenschlüsse bis zur Feststellung ihrer Unbedenklichkeit zu Verschlechterungen der strukturellen Wettbewerbsbedingungen führen, die nachträglich schwer oder überhaupt nicht mehr korrigiert werden können („Verhinderung vollendeter Tatsachen“).

 

Doch welche Verhaltensweisen werden nun genau vom Vollzugsverbot erfasst? Weder § 41 Abs. 1 GWB noch § 37 GWB geben hierauf eine Antwort.

Verstoß gegen das Vollzugsverbot bei Verwirklichung eines Zusammenschlusstatbestandes

Allerdings ergibt sich aus den verschiedenen Zusammenschlusstatbeständen des § 37 GWB, unter welchen Voraussetzungen ein „Zusammenschluss“ vorliegt. Die in der Praxis wohl häufigsten Fälle sind der Kontroll- und der Anteilserwerb gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 2 bzw. 3 GWB. Somit verstoßen jedenfalls solche Verhaltensweisen gegen das Vollzugsverbot, die einen Zusammenschlusstatbestand des § 37 GWB vor der Freigabeentscheidung der Fusionskontrollbehörde verwirklichen.

 

Kein Verstoß gegen das Vollzugsverbot liegt daher beispielsweise im bloßen Abschluss eines SPA (signing) über den Erwerb von 25 % der Anteile des Zielunternehmens, da hierdurch noch keine Anteile übertragen werden.

 

Ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot liegt hingegen vor, wenn gleichzeitig mit dem signing bzw. vor der Freigabeentscheidung, die Anteile auch übertragen (closing) werden, da dies den Zusammenschlusstatbestand des Anteilserwerbs verwirklicht. Erlangt der Erwerber durch eine Minderheitsbeteiligung „wettbewerblich erheblichen Einfluss“, so erfüllt dies sogar dann einen Zusammenschlusstatbestand, wenn der Anteilserwerb (zunächst) weniger als 25 % beträgt. Dies vor allem dann denkbar, wenn ein Wettbewerber die Minderheitsbeteiligung erwerben will.

Verstoß gegen das Vollzugsverbot auch bei „faktischem Vollzug“

Neben solchen rechtlichen Maßnahmen können auch faktische Maßnahmen gegen das Vollzugsverbot verstoßen (sog. „faktischer Vollzug“). So liegt ein faktischer Kontrollerwerb beispielsweise dann vor, wenn der Geschäftsführer der Zielgesellschaft durch einen Geschäftsführer aus dem „Lager“ des Erwerbers ausgetauscht wird oder der Erwerber in sonstiger Weise zu Personalentscheidungen hinsichtlich der Führungsebene ermächtigt wird. Auch Integrationsmaßnahmen im Vorfeld der Freigabeentscheidung können einen faktischen Kontrollerwerb und damit einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot darstellen (z.B. die Zusammenführung von IT-Systemen).

Zulässige Maßnahmen

Erlaubt sind hingegen Verpflichtungen des Veräußerers, bis zur Vollendung des Zusammenschlusses keine wesentlichen Änderungen am Geschäft vorzunehmen. Auch Maßnahmen, die den eigentlichen Vollzug und die zukünftige Unternehmensstruktur vorbereiten verstoßen nicht gegen das Vollzugsverbot. Zu nennen sind etwa die Planung der Integration (z.B. die Verständigung zur Nutzung einer gemeinsamen Software, um die Auslotung von Synergiepotentialen vorzubereiten), die Personalplanung und Nominierungen, die Erarbeitung der neuen Reporting- und Organisationsstrukturen oder die Vorbereitung eines gemeinsamen Marktauftritts. Auch das „Zuschneiden“ des Zielunternehmens durch den Veräußerer (etwa durch den vorherigen Verkauf unrentabler Sparten), um es für die spätere Übernahme vorzubereiten, ist in der Vergangenheit von der Rechtsprechung nicht als Verstoß gegen das Vollzugsverbot angesehen worden. Voraussetzung ist allerdings, dass der Veräußerer in seiner Entscheidung frei bleibt und diese auch an Wettbewerber übertragen darf.

Empfindliche Geldbußen drohen

Verstöße gegen das Vollzugsverbot können mit empfindlichen Geldbußen geahndet werden. Bis zu 10 % des im Vorjahr erzielten konzernweiten Umsatzes können auf diese Weise fällig werden. Der EuGH bestätige bereits ein von der Europäischen Kommission verhängtes Bußgeld in Höhe von 20 Millionen Euro gegen das norwegische Lachszüchterunternehmen Marine Harvest. Diese hatte nach ihren Feststellungen ohne vorherige Anmeldung ein anderes Unternehmen erworben. In Deutschland betrug das höchste für einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot verhängte Bußgeld 4,5 Millionen Euro. Dabei bebußte das Bundeskartellamt das amerikanische Unternehmen Mars Inc., weil es nach den Feststellungen des Amtes noch vor der Freigabeentscheidung Vermögenswerte des zu erwerbenden Unternehmens erhielt.

Die Entscheidung Edeka/Kaisers Tengelmann

Ungeklärt war bisher, ob das Vollzugsverbot auch Verhaltensweisen erfasst, die keinen der Tatbestände des § 37 GWB (rechtlich oder faktisch) erfüllen. In Übereinstimmung mit der Praxis der Europäischen Kommission – und entgegen einem Teil der deutschen Literatur – hat der BGH nun eine solch weite Auslegung bejaht:

„Unter das Vollzugsverbot können auch solche Maßnahmen oder Verhaltensweisen fallen, die, ohne für sich genommen einen Zusammenschlusstatbestand auszufüllen, im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Zusammenschluss erfolgen und geeignet sind, dessen Wirkungen zumindest teilweise vorwegzunehmen.“

Für einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot kommt es somit nicht darauf an, ob ein Zusammenschlusstatbestand (ganz oder teilweise, rechtlich oder faktisch) vor der Freigabeentscheidung erfüllt wird. Entscheidend ist vielmehr, ob durch die Maßnahme Markstrukturen geschaffen werden, deren Vereinbarkeit mit dem Wettbewerb das Bundeskartellamt im Rahmen seiner materiellen Prüfung nach § 36 GWB erst noch zu prüfen hat.

Danach können etwa Maßnahmen gegen das Vollzugsverbot verstoßen durch die der Erwerber […] bereits Befugnisse erhält, die er nach dem beabsichtigten Zusammenschluss nur kraft seiner Position als Inhaber der Geschäftsanteile und Gesellschafterrechte ausüben könnte, ferner Maßnahmen, die die mit dem Zusammenschluss erstrebte Integration der beteiligten Unternehmen teilweise vorwegnehmen. Die zusammenschlusswilligen Unternehmen haben grundsätzlich jegliches Verhalten zu unterlassen, das dazu führt, dass sie ihre Stellung als selbständig agierende Marktsubjekte bereits vor der Entscheidung der Kartellbehörde über das angemeldete Zusammenschlussvorhaben ganz oder teilweise verlieren. Für die Beurteilung, ob eine Maßnahme unter das Vollzugsverbot nach § 41 Abs. 1 GWB fällt, kann mithin die Frage Bedeutung erlangen, ob sie zu einem Verhalten führt, das bei einem Unternehmen, das selbständig über sein Marktverhalten entscheidet, nicht zu erwarten wäre.
Verstoß gegen das Vollzugsverbot durch Rahmenvertrag

Vor diesem Hintergrund begründete der BGH einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot mit einem zeitgleich mit dem SPA abgeschlossenen Rahmenvertrag, da dieser „die Wirkungen des beabsichtigten Zusammenschlusses in erheblichem Umfang vorweggenommen […] hätte“.

 

In diesem verpflichtete sich Kaisers Tengelmann (KT) unter anderem zum Bezug bestimmter Warensortimente (Drogerieartikel, Reinigungsmittel u.ä.) von Edeka. Ein darüber hinausgehender Warenbezug stand KT zwar frei, doch wurden dem Unternehmen diesbezüglich Konditionen angeboten, die ein Ausweichen auf andere Bezugsquellen nicht erwarten ließen. Gerade dies, so der BGH, hätte dazu geführt, dass KT als eigenständiger Nachfrager auf dem Markt nahezu verschwunden wäre.

 

Außerdem sah der Rahmenvertrag vor, dass Edeka in den Fällen, in denen KT im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Waren von dritten Lieferanten bezog, mit denen Edeka ein Verrechnungsabkommen geschlossen hat, die zentrale Abwicklung des gesamten Zahlungs- und Abrechnungsverkehrs sowie die Übernahme des Forderungsausfallrisikos (Delkredere) übernahm (Zentralregulierung). Die Zentralregulierung habe somit Aufgaben umfasst, die „zum ureigenen Organisationsbereich eines Unternehmens gehören“. Die Übertragung solcher Aufgaben auf einen Wettbewerber und die damit verbundene Offenlegung geschäftlich sensibler Informationen seien „nicht üblich“. Mit anderen Worten geht der BGH also davon aus, dass es sich hierbei um ein Verhalten handelt, das bei einem selbständig handelnden Unternehmen „nicht zu erwarten wäre“. Dies indiziert für den BGH, dass KT seine Stellung als selbständig agierendes Marktsubjekt hierdurch verloren hätte.

EuGH-Verfahren zum Vollzugsverbot

Abzuwarten bleibt allerdings, ob sich auch der EuGH dieser Rechtsprechung des BGH anschließen wird. In einem momentan anhängigen Verfahren hat der EuGH darüber zu entscheiden, ob die Kündigung eines Kooperationsvertrages unter das Vollzugsverbot fällt. Mit der Auslegung des BGH dürfte dies wohl der Fall sein. Doch führte der Generalanwalt in seinem Schlussantrag aus, dass die

„Pflicht zum Aufschub eines Zusammenschlusses nicht Maßnahmen betrifft, die zwar im Zusammenhang mit dem zu einem Zusammenschluss führenden Prozess getroffen wurden, jedoch den Maßnahmen, die tatsächlich zum Erwerb der Möglichkeit führen, einen bestimmenden Einfluss auf ein Zielunternehmen auszuüben, vorausgehen und sich von diesen trennen lassen.“

Praxisfolgen - Klare Grenzen für voreiliges Handeln

Der BGH stellt klar, dass bereits jede Teilverwirklichung des beabsichtigten Zusammenschlusses vor der Freigabeentscheidung einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot darstellt. Der damit einhergehende Verzicht auf die Verwirklichung eines Zusammenschlusstatbestandes trägt zu mehr Rechtssicherheit bei. Dies ist zu begrüßen, da etwa die Frage, ob der Erwerber vor der Freigabe bereits „wettbewerblich erheblichen Einfluss“ erhält, im Einzelfall mit erheblichen Rechtsunsicherheiten verbunden sein kann. Andererseits führt diese Rechtsprechung aber auch zu einer Einschränkung der Handlungsspielräume der am Zusammenschlussvorhaben beteiligten Unternehmen.

Keine Maßnahmen zur Teilverwirklichung des geplanten Zusammenschlusses

Zukünftig sollten Unternehmen also darauf achten, in Unternehmenskaufverträgen oder in begleitenden Verträgen keine Maßnahmen zu vereinbaren, die bereits zu einer Teilverwirklichung des geplanten Zusammenschlusses führen. Die Parteien müssen daher kritisch prüfen, ob die vereinbarten Maßnahmen, die bereits vor der Freigabeentscheidung eingreifen sollen, auf die Schaffung derselben Marktbedingungen gerichtet sind, die mit dem Zusammenschluss verfolgt werden. Ein weiteres wichtiges Indiz ist, ob die Parteien – insbesondere das Zielunternehmen – die Vereinbarung auch ohne den geplanten Zusammenschluss eingegangen wäre.

Risiken bei frühzeitiger Hebung von Synergien

Beides spielt in der Praxis eine erhebliche Rolle. So will der Erwerber oftmals möglichst frühzeitig mit einem gemeinsamen Lieferanten neue Konditionen aushandeln und die beabsichtigten Synergien heben. Dies kann etwa dadurch geschehen, dass das erwerbende Unternehmen den Einkauf für das Zielunternehmen mitübernimmt und mit dem Lieferanten neue Verträge (mit höheren Mengen und entsprechend besseren Konditionen) abschließt. Da hierdurch aber das Zielunternehmen als  Nachfrager vom Markt ausscheidet, liegt hierin ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot, wenn der Abschluss des Vertrages vor der Freigabeentscheidung erfolgt. Allerdings spricht nichts dagegen, wenn der Erwerber den Lieferanten über das Zusammenschlussvorhaben vorab informiert, sodass dieser sich hierauf einstellen kann. Ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot kann jedoch vorliegen, wenn das Zielunternehmen gegenüber dem Erwerber seine Einkaufskonditionen offenlegt, die es mit einem gemeinsamen Lieferanten vereinbart hat. Für den Erwerber sind solche Informationen oft von Interesse, um diese mit seinen eigenen Konditionen zu vergleichen, die jeweils besten Konditionen „herauszupicken“ und anschließend mit dem Lieferanten neu zu verhandeln. Jedoch würde ein Unternehmen einem Konkurrenten unter normalen Wettbewerbsbedingungen seine Einkaufskonditionen nicht offenlegen, was nach der neuen Rechtsprechung des BGH einen Verstoß gegen das Vollzugsverbot indiziert. Unabhängig davon stellt dies auch einen Verstoß gegen das in § 1 GWB geregelte Kartellverbot dar. Denn bis zur endgültigen Eingliederung des Zielunternehmens in das erwerbende Unternehmen (closing) bleiben die Parteien Wettbewerber.

Vorsicht ist besser als Nachsicht

Der Beschluss steht zumindest im Einklang mit den Entscheidungen der europäischen Kommission. Er belegt, dass die Unternehmen mögliche Verstöße gegen das Vollzugsverbot sorgfältig zu prüfen haben. Dabei sind längst nicht sämtliche Vorbereitungshandlungen ausgeschlossen. Lediglich in Zweifelsfällen legt die weite Auslegung des BGH nahe, lieber Geduld zu üben. Schließlich entscheidet das Bundeskartellamt in aller Regel binnen eines Monats (vgl. § 40 Abs. 1 S. 1 GWB). In dieser Wartezeit dürften sich wohl keine Gewinne erzielen lassen, die es wert sind, eine empfindliche Geldbuße zu riskieren.  Wann ein solcher Zweifelsfall vorliegt gilt es künftig anhand einer konkreten Einzelfallprüfung festzustellen. Jedenfalls erlaubt bleiben dürften Maßnahmen, die das „integration planning“ (Konsultation bzgl. Controlling, HR, IT usw.), gelegentliche Updates zur geschäftlichen Entwicklung und die Einholung der Zustimmung bei wesentlichen Maßnahmen „outside the ordinary course of business“ mit angemessenen Wertschwellen, betrifft.