Reform des Gemeinnützigkeitsrechts – zweiter Anlauf

09.10.2020 | FGS Blog

Heute hat der Bundesrat seine Beschlussempfehlungen zu einer umfassenden Reform des Gemeinnützigkeitsrechts abgegeben (Bundesrats-Drucksache 503/20 (Beschluss) vom 9. Oktober 2020). Diese entsprechen zu einem Großteil den Beschlussempfehlungen aus dem September des vergangenen Jahres.

Reformbestrebungen zur Gemeinnützigkeit im Rückblick

Schon seit mehreren Monaten gibt es, insbesondere aus den Reihen der Bundesländer, Bestrebungen, das Gemeinnützigkeitsrecht an für die Praxis wichtigen Stellen zu reformieren. Den ersten Versuch der Länder im September 2019, über den Bundesrat eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts zu initiieren, lehnten die Regierungskoalitionen mit dem Versprechen ab, einen eigenen Reformentwurf vorzulegen. Entgegen manchen späteren Äußerungen des Bundesfinanzministers hat sich die Bundesregierung bislang passiv verhalten. Mutmaßlich konnten sich die Regierungskoalitionen bislang nicht darauf verständigen, ob und, wenn ja, mit welchen konkreten Vorgaben die politische Betätigung gemeinnütziger Organisationen im Lichte des BFH-Urteils in der Rechtssache Attac gesetzlich geregelt werden soll.

Da die Länder mit den heutigen Beschlussempfehlungen nun erneut Druck auf Bundesregierung und Bundestag ausüben, ist es denkbar, dass die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts zeitnah kommt. Sie würde  zu erheblichen Verbesserungen für den Dritten Sektor führen, insbesondere für gemeinnützige Konzernstrukturen sowie für Kooperationen zwischen gemeinnützigen Organisationen.

Geplante Änderungen im Gemeinnützigkeitsrecht

Nach den heutigen Beschlussempfehlungen sind folgende Änderungen im Gemeinnützigkeitsrecht geplant:

Kooperationen

Mit Rückwirkung zum 1. Januar 2020 soll im Gesetz festgeschrieben werden, dass eine Körperschaft auch dann „unmittelbar gemeinnützig“ tätig ist, wenn sie planmäßig mit mindestens einer anderen gemeinnützigen Organisation zusammenwirkt (§ 57 Abs. 3 Satz 1 AO-Entwurf). Damit sollen Arbeitsteilung und Kooperationen, die bei einer Zusammenschau aller Aktivitäten auf die Verfolgung gemeinnütziger Zwecke gerichtet sind, abgesichert werden. Nach der Begründung würden beispielsweise reine Servicegesellschaften, etwa eine Krankenhauswäscherei GmbH, künftig insoweit „unmittelbar gemeinnützig“ agieren, als sie ihre Serviceleistungen anderen gemeinnützigen Organisationen, bspw. in einem Konzern, als Vorleistung für deren gemeinnützige Tätigkeiten erbringen.

Diese gesetzliche Neuregelung wird, wenn sie so kommt, zu einer neuen Beurteilung hinsichtlich des Erwerbs von Anteilen an Servicegesellschaften oder hinsichtlich der Überlassung von Immobilien an solche Gesellschaften führen. Die Neuregelung wirft auch Fragen zur Satzungsgestaltung auf. Ungeachtet der Neuregelung sollten gemeinnützige Kooperationspartner stets darauf achten, nicht ungewollt eine (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu begründen, die ein eigenständiges Gewerbesteuersubjekt und als solches nicht steuerbefreit ist.

Die Neuregelung wird flankiert durch den Zusatz, dass sich die Zweckbetriebseigenschaft entgeltlicher Tätigkeiten einer Körperschaft auch ergeben kann, wenn diese Tätigkeiten und die Tätigkeiten einer anderen gemeinnützigen Körperschaft in der Zusammenschau die Voraussetzungen eines Zweckbetriebs erfüllen (§ 57 Abs. 3 Satz 2 AO-Entwurf). In dem obigen Beispiel würde die Krankenhauswäscherei GmbH mit entgeltlichen Leistungen an einen gemeinnützigen Krankenhausträger einen Zweckbetrieb nach § 67 AO begründen. Hingegen sollen Serviceleistungen an nichtgemeinnützige Dritte wie bislang einen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb begründen.

Konzernstrukturen

Ebenfalls mit Wirkung zum 1. Januar 2020 soll es einen Paradigmenwechsel für gemeinnützige Konzerne geben. Demnach soll eine Körperschaft auch dann gemeinnützig sein, wenn sie sich darauf beschränkt, Beteiligungen an gemeinnützigen Kapitalgesellschaften zu halten (§ 57 Abs. 4 AO-Entwurf). Damit würden reine Holdingkörperschaften an der Spitze eines gemeinnützigen Konzerns auch ohne eigene operative gemeinnützige Aktivitäten gemeinnützig sein.

Dies hätte praktische Auswirkungen auf die Finanzierung des Erwerbs von Beteiligungen an gemeinnützigen Kapitalgesellschaften, insbesondere an gGmbHs. Im Kontext dieser Neuregelung stellen sich zahlreiche Folgefragen, auch wegen des Sphärenwechsels bereits bestehender Beteiligungen.

Nach der Begründung beurteilen sich die Serviceleistungen innerhalb des Konzerns nach den bestehenden Regelungen. Hierzu hat sich die Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen in einer Verfügung vom 18. Januar 2018 geäußert, die allerdings in einigen Gesichtspunkten recht restriktiv ist.

In diesem Kontext vermisst man allerdings Regelungen zu den gemeinnützigkeitsrechtlichen Auswirkungen einer Ausgliederung unter Zurückbehalt wesentlicher Betriebsgrundlagen, die in der Zielstruktur an eine Untergliederung zur Nutzung überlassen werden. Dies betrifft insbesondere die Auswirkungen vor dem Hintergrund des Gebots der zeitnahen Mittelverwendung. Dem Vernehmen nach soll es dazu Reformüberlegungen und konkrete Formulierungsvorschläge gegeben haben.

Fördertätigkeiten

Der Bundesrat empfiehlt, § 58 Nr. 2 AO ersatzlos zu streichen. Damit würden die in dieser Vorschrift enthaltenen Restriktionen (Mittelweitergabe nur an in Deutschland als gemeinnützig anerkannte Organisationen und betragsmäßig nur „teilweise“) wegfallen. Demnach würden sich Mittelweitergaben künftig allein nach § 58 Nr. 1 AO beurteilen.

Zu § 58 Nr. 1 AO sehen die Beschlussempfehlungen des Bundesrates Änderungen vor. So sollen gemeinnützige Geberkörperschaften – im Ergebnis wie Spender – hinsichtlich des „Steuerstatus“ der Empfängerkörperschaft in den Genuss von Vertrauensschutz kommen, wenn sie sich vor der Mittelzuwendung einen auf die Empfängerkörperschaft lautenden Freistellungsbescheid o.ä. haben vorlegen lassen.

In der Satzung soll die Mittelweitergabe aus gemeinnützigkeitsrechtlicher Sicht nur dann explizit aufgeführt werden, wenn dies die einzige Aktivität der Körperschaft ist – und zwar als Art der Zweckverwirklichung und nicht mehr als Satzungszweck i.e.S. Dessen ungeachtet sollte die Mittelweitergabe auch künftig aus zivilrechtlichen Gründen in der Satzung aufgeführt werden.

Wermutstropfen: Zuwendungen an solche ausländische Körperschaften, die in Deutschland steuerpflichtige Einkünfte erzielen, sollen künftig nur noch gefördert werden dürfen, wenn sie in Deutschland wegen Gemeinnützigkeit steuerbegünstigt sind – dies ist eine deutliche Verschärfung gegenüber der geltenden Gesetzeslage.

Diese Änderungen sollen für alle noch offenen, noch nicht bestandskräftig veranlagten Fälle gelten.

Politische Betätigung

Mutmaßlich hingen die bisherigen Reformbestrebungen auf Ebene der Regierungskoalitionen an der Frage, ob und, wenn ja, inwieweit die Möglichkeiten und Grenzen politischer Betätigungen gemeinnütziger Körperschaften in Reaktion auf das Urteil des Bundesfinanzhofs in der Rechtssache des Attac-Trägervereins vom 10. Januar 2019 (Az. V R 60/17) abgebildet werden sollen (vgl. Blog-Beitrag vom 27. Februar 2019).

Die Ausschüsse des Bundesrates hatten empfohlen, im Gesetz ausdrücklich zu regeln, dass eine politische Betätigung „bei der Verfolgung” der steuerbegünstigten Satzungszwecke zulässig ist, wenn diese Zwecke „mit einer politischen Zielsetzung verbunden” sind (§ 58 Nr. 11 AO-Entwurf). Diese Formulierung hätte nach hiesiger Einschätzung im Grundsatz nicht mehr, aber auch nicht weniger als die gefestigte Rechtsprechung des BFH zum Ausdruck gebracht, auch wenn der Wortlaut Abweichungen in Nuancen zugelassen hätte.

Die Empfehlung der Ausschüsse hat der Bundesrat in seiner heutigen Sitzung nicht angenommen. Es bleibt abzuwarten, ob das „Durchfallen“ dieser politisch kontrovers diskutierten Reformidee womöglich dazu führt, dass Bundesregierung und Deutscher Bundestag das Reformvorhaben insgesamt nicht aufgreifen.

Neue gemeinnützige Katalogzwecke, neue Zweckbetriebe

Der Katalog der gemeinnützigen Zwecke soll um neue Zwecke erweitert werden (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 8, 9a, 10, 22 und 26 AO-Entwurf). Diese Erweiterungen haben teilweise konstitutive Wirkung (so bspw. hinsichtlich der Förderung des Freifunks), teilweise nur klarstellende Wirkung (so z.B. hinsichtlich der Förderung des Klimaschutzes, die nach hiesiger Auffassung vollumfänglich unter Förderung des Umweltschutzes fällt). Die Begründung der Beschlussempfehlungen der Bundesrats-Ausschüsse führt dem Rechtsanwender das allgemeine Problem vor Augen, dass manche Tätigkeiten einer gemeinnützigen Organisatioen größtenteils, aber nicht vollständig auf ein Bündel mehrerer bereits bestehender gesetzlicher Katalogzwecke gestützt werden kann. Organisationen sollten stets im Auge behalten, ob ihre wesentlichen gemeinnützigen Tätigkeiten in der Satzung vollständig und zutreffend abgebildet sind.

Zudem sollen zwei neue Zweckbetriebsvorschriften im Bereich der Wohlfahrtspflege eingeführt werden (§ 68 Nr. 1 Buchst. c und § 68 Nr. 4 AO-Entwurf). Diese Zweckbetriebe dürften nach hiesiger Rechtsauffassung in die sogenannte wohlfahrtspflegerische Gesamtsphäre einzubeziehen sein.

Höhere Bagatellgrenzen

Kleine Organisationen mit Einnahmen von höchstens 45.000 Euro pro Jahr sollen vom Gebot der zeitnahen Mittelverwendung befreit werden (§ 55 Abs. 1 Nr. 5 Satz 4 AO-Entwurf). Hier stellen sich einige Fragen zum Begriff der „Einnahmen”.

Die Bagatellgrenze, bei deren Überschreitung eine gemeinnützige Organisation ihr steuerliches Ergebnis (Gewinn/Verlust) in der ertragsteuerpflichtigen Sphäre ermitteln muss, soll mit Wirkung zum 1. Januar 2020 von derzeit 35.000 auf 45.000 Euro angehoben werden (§ 64 Abs. 3 AO-Entwurf).

„60a-Bescheid“

Ein Finanzamt soll berechtigt sein, die Erteilung eines Feststellungsbescheids nach § 60a AO zu verweigern oder zurückzunehmen, wenn es Anzeichen dafür sieht, dass die Organisation aufgrund ihrer tatsächlichen Geschäftsführung voraussichtlich nicht als gemeinnützig anerkannt werden kann (§ 60a Abs. 6 AO-Entwurf).

Erhöhung von Freibeträgen

Die ertragsteuerlichen Freibeträge (bei Vorliegen zu versteuernder Gewinne aus steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben) sollen ab 2021 von bislang 5.000 auf 7.500 Euro angehoben werden (§ 24 Satz 1 KStG-Entwurf und § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 GewStG-Entwurf).

Förderung des Ehrenamts, Vereinfachung im Spendenrecht

Die sog. Übungsleiterpauschale soll von bislang 2.400 Euro auf nunmehr 3.000 Euro, die sog. Ehrenamtspauschale von bislang 720 auf 840 Euro angehoben (§ 3 Nr. 26 Satz 1 und Nr. 26a Satz 1 EStG-Entwurf).

Neu hinzugefügt wird eine Einkommensteuerbefreiung für den Bezug von Sachleistungen auf Grundlage der sog. Ehrenamtskarte (§ 3 Nr. 26c EStG-Entwurf). Diese Steuerbefreiung soll neben die beiden o.g. genannten Steuerbefreiungen treten.

Die betragsmäßige Grenze, bis zu der Spenden und Mitgliedsbeiträge auch ohne Vorlage einer Zuwendungsbestätigung abziehbar sind, soll von 200 auf 300 Euro angehoben werden (§ 50 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStDV-Entwurf).

„Ausstiegsabgabe“ bei Verstoß gegen das Gebot der Vermögensbindung

Für den Fall, dass eine Körperschaft durch Satzungsänderung oder schwerwiegende Mittelfehlverwendung gegen das Gebot der Vermögensbindung (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 AO) verstößt, fingiert das Gesetz den bis zum Errichtungszeitpunkt rückwirkenden Verlust der Gemeinnützigkeit – mit der weiteren Folge, dass für die vorausgegangenen zehn Jahren eine Nachversteuerung unter Ausblendung sämtlicher an die Gemeinnützigkeit anknüpfenden Vergünstigungen erfolgt (§ 61 Abs. 3 AO).

Das sehr aufwendige Verfahren einer bis zu zehnjährigen Nachversteuerung soll durch Einführung einer einmaligen „Ausstiegsabgabe“ ersetzt werden. Diese „Ausstiegsabgabe“ soll sich auf pauschal 30 % des maßgeblichen Vermögens der Körperschaft belaufen und auf die für das Ausstiegsjahr festzusetzende Körperschaftsteuer aufgeschlagen werden (§ 23 Abs. 1 Satz 2 KStG-Entwurf).

Bemessungsgrundlage ist nach der gesetzlichen Grundkonzeption der gemeine Wert des der Vermögensbindung unterliegenden Vermögens (§ 61 Abs. 4 Satz 1 AO-Entwurf), d.h. bei gemeinnützigen Kapitalgesellschaften abzüglich etwaiger offener zurückzugewährender Einlagen der Gesellschafter. Auf Antrag können die steuerlichen Buchwerte angesetzt werden, soweit die Besteuerung der stillen Reserven nach dem „Ausstieg“ sichergestellt ist (§ 61 Abs. 4 Satz 2 AO-Entwurf).

Bewertungsstichtag ist der Beginn des Veranlagungszeitraums, in dem der „Ausstieg“ wirksam vollzogen ist, z.B. durch Eintragung einer Satzungsänderung im Register (§ 61 Abs. 3 Satz 3 AO-Entwurf; anders Gesetzesbegründung, S. 129: Ablauf des vorhergehenden Veranlagungszeitraums). Demnach bleiben Wertveränderungen bis zu dem Tag, an dem das schädliche Ereignis wirksam wird, unberücksichtigt.

Bei Umstrukturierungen auf Grundlage des Umwandlungsgesetzes sollen besondere Regelungen gelten (§ 61 Abs. 3 Satz 4 f. und Abs. 4 Satz 3 AO-Entwurf).

Ausblick

Ob und, wenn ja, mit welchen Modifikationen die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag, vorab dessen Finanzausschuss, die erneute Initiative des Bundesrates aufgreifen werden, bleibt abzuwarten. Es ist durchaus denkbar, dass die Reform nun zeitnah beschlossen wird, nachdem die Länder erneut Druck ausüben. Nicht nicht auszuschließen ist aber auch, dass mit Blick auf den Wahlkampf 2021 aus den Reihen des Deutschen Bundestags ein eigener Gesetzesentwurf präsentiert wird – der vermutlich in vielen Bereichen die seit langem bestehenden und, soweit vernehmbar, in der Finanzverwaltung unstreitigen Reformüberlegungen der Länder übernehmen wird.

Bereits heute sollten alle gemeinnützigen Organisationen und Konzerne die nun aktuell angestoßenen Reformideen im Auge behalten und gegebenenfalls schon jetzt auf ihre praktischen Auswirkungen prüfen. Geprüft werden könnten insbesondere die Gestaltung von Leistungsbeziehungen sowie die Finanzierung von Investitionen von Beteiligungen an gemeinnützigen Kapitalgesellschaften.