Umsatzsteuer-Digitalpaket: BMF nimmt Stellung zu Änderungen beim E-Commerce

28.04.2021 | FGS Blog

Am 5. Dezember 2017 hat der Rat der Europäischen Union das Legislativ-Paket zur Modernisierung der Umsatzsteuer beim grenzüberschreitenden elektronischen Handel im Privatkundenbereich verabschiedet. Dazu hat er eine Richtlinie (2017/2455) sowie zwei Verordnungen (2017/2454 und 2017/2459) zur Vereinfachung der Umsatzbesteuerung im E-Commerce beschlossen. Die 1. Stufe ist bereits zum 1. Januar 2019 in Kraft getreten. Die Änderungen zur Umsetzung der 2. Stufe des Umsatzsteuer-Digitalpakets wurden mit dem Jahressteuergesetz 2020 in nationales Recht umgesetzt. Diese treten zum 1. Juli 2021 in Kraft. Das BMF hat kürzlich zu den Neuregelungen Stellung genommen (BMF-Schreiben vom 1. April 2021 – III C 3-S 7340/19/10003 :022). Das BMF-Schreiben enthält zahlreiche Beispielsfälle, die für ein besseres Verständnis der Neuregelungen sorgen. Von großer Praxisrelevanz sind unter anderem die Ausführungen zum Begriff der „Sendung“ und zum Vorsteuerabzug.

Ziel des Umsatzsteuer-Digitalpakets ist es, die Umsatzsteuer an die Besonderheiten des elektronischen Geschäftsverkehrs anzupassen. Eine Umsatzbesteuerung soll danach in dem EU-Mitgliedstaat erzielt werden, in dem der Verbrauch stattfindet. Gleichwohl soll eine Registrierung für umsatzsteuerliche Zwecke im sogenannten Bestimmungsland für den Unternehmer vermieden werden. Dazu soll der im Jahr 2015 eingeführte Mini-One-Stop-Shop (kurz „MOSS“) durch den One-Stop-Shop (kurz „OSS“) ersetzt werden. Zudem gibt es Änderungen für Betreiber elektronischer Marktplätze, bei dem grenzüberschreitenden Versandhandel (sogenannter Fernverkauf) und bei der Einfuhr.

Besondere Besteuerungsverfahren - One-Stop-Shop

OOS ist ein spezielles Erfassungs- und Meldeverfahren, das dem Unternehmer ermöglicht, im EU-Ausland geschuldete Umsatzsteuer durch Abgabe von nur einer Steuererklärung zentral abzuführen. Auf diese Weise soll eine Registrierung des Unternehmens in mehreren Mitgliedstaaten vermieden werden. Die Teilnahme am OSS ist freiwillig. Die Erklärungen sind vierteljährlich zum Ende des dem Quartal folgenden Monats abzugeben. Um am OSS teilnehmen zu können, ist ein Antrag zu stellen. Die Antragstellung kann seit dem 1. April 2021 elektronisch über das Online-Portal des Bundeszentralamtes für Steuern (BZSt) für Besteuerungszeiträume ab dem 1. Juli 2021 erfolgen.

Zu beachten ist, dass die Teilnahme am OSS für Unternehmen nur möglich ist, wenn sie alle innerhalb der EU steuerpflichtigen Fernverkäufe einheitlich im OSS melden. Bestehende umsatzsteuerliche Registrierungen sind für die Nutzung von OSS unschädlich. OSS bietet insoweit keine Möglichkeit, Vorsteuern geltend zu machen (§ 18 Abs. 9 UStG und § 59 UStDV). Vorsteuererstattungen sind daher im Rahmen des Vergütungsverfahrens zu beantragen. Soweit Umsätze im direkten Zusammenhang mit im OSS/IOSS gemeldeten Umsätzen in Verbindung stehen, können Drittunternehmer auch bei fehlender Gegenseitigkeit Vorsteuerbeträge im Vergütungsverfahren geltend machen (BMF-Schreiben vom 1. April 2021, unter 16., Seite 25 (zu Abschnitt 18i.1 Abs. 8 Satz 2 UStAE)).

Das besondere Besteuerungsverfahren unterscheidet eine Nicht-EU-Regelung, eine EU-Regelung und eine Einfuhrregelung.

Nicht-EU-Regelung - § 18i UStG

Drittlands-Unternehmer sollen künftig alle sonstigen Leistungen an Personen im Sinne von § 3a Abs. 5 Satz 1 UStG (also im Wesentlichen Nicht-Unternehmer), die im Gemeinschaftsgebiet zu besteuern sind, im OSS melden können. Hingegen konnten diese bisher nur elektronische Dienstleistungen, Telekommunikationsleistungen, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen melden. Künftig ist es also beispielsweise möglich auch Personenbeförderungsleistungen nach § 3b UStG oder Leistungen nach § 3a Abs. 3 Nr. 1 bis 4 UStG im OSS zu erklären.

EU-Regelung - § 18j UStG

Sonstige Leistungen

EU-Unternehmer können künftig sämtliche sonstigen Leistungen an Personen im Sinne von § 3a Abs. 5 Satz 1 UStG, die in einem anderen Mitgliedstaat zu besteuern sind, in ihrem Ansässigkeitsstaat über OSS melden können.

Innergemeinschaftliche Fernverkäufe

Sowohl Drittlands-Unternehmer als auch EU-Unternehmer haben künftig die Möglichkeit, ihre innergemeinschaftlichen Fernverkäufe über OSS mitzuteilen. Ausgenommen von einer Meldung über den OSS sind allerdings innergemeinschaftliche Verbringungen. Möchte ein Unternehmen sogenannte Fulfillment-Service-Struktur eines Online-Marktplatzes nutzen, bei der Waren innerhalb der EU umgelagert werden, kann die Registrierung in den Ländern mit Warenlager weiterhin nicht vermieden werden.

Umsätze nach der Reihengeschäftsfiktion bei Schnittstellenbetreibern

Die Umsätze, die der neu eingeführten Reihengeschäftsfiktion des § 3 Abs. 3a Satz 1 UStG unterliegen, können künftig auch im OSS gemeldet werden. § 3 Abs 3a UStG fingiert in bestimmten Fällen ein Reihengeschäft zwischen Online-Händler, elektronischer Schnittstelle und Endkunden. Die elektronische Schnittstelle ist dann der Steuerschuldner. Das besondere Besteuerungsverfahren gilt allerdings nur für steuerpflichtige Umsätze durch den Schnittstellenbetreiber. Es ist nicht für die vorgelagerte Lieferung des Online-Händlers an den Schnittstellenbetreiber anwendbar. Die Lieferung des Online-Händlers an den Schnittstellenbetreiber ist zwar nach § 4 Nr. 4c UStG steuerfrei. Diese führt allerdings nach den allgemeinen Grundsätzen gleichwohl zu einer Erklärungs- und Registrierungspflicht.

Einfuhrregelung - § 18k UStG

Sowohl Drittlands-Unternehmer als auch EU-Unternehmer können künftig den Fernverkauf von Sendungen mit einem Sachwert von höchstens EUR 150 im sogenannten Import-One-Stop-Shop (kurz „IOSS“) melden. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Liefergegenstand aus einem Drittlandsgebiet in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt wird. Auch Schnittstellenbetreiber nach § 3 Abs. 3a Satz 2 UStG können derartige Umsätze im IOSS melden. Die Einfuhr von Waren ist dann unter weiteren Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 7 UStG in Verbindung mit § 18k UStG umsatzsteuerfrei.

Praxishinweis: Unternehmer sollten prüfen, ob sie zukünftig das besondere Besteuerungsverfahren nutzen können. Die Nutzung von OSS hat neben der Deregistrierung in den anderen EU-Mitgliedsstaaten den Vorteil, dass aufgrund des vierteljährlichen Abgabeturnus entstandene Umsatzsteuer erst später zu entrichten ist. Die Überwachung der unterschiedlichen Meldefrequenzen einzelner Mitgliedstaaten entfällt ebenfalls.

Fernverkäufe

Die bisherige Regelung zum Versandhandel wird durch den neuen § 3c UStG ersetzt. Ein Fernverkauf liegt vor, wenn ein Gegenstand an einen Nichtunternehmer geliefert wird, die Ware entweder grenzüberschreitend innerhalb der EU (innergemeinschaftlicher Fernverkauf) oder aus dem Drittland in einen Mitgliedstaat transportiert wird (Fernverkauf aus dem Drittland) und der Transport durch den Lieferanten veranlasst wird. Bei dem Abnehmer muss es sich um einen Nichtsteuerpflichtigen im Sinne von § 3a Abs. 5 Satz 1 UStG oder um eine diesem geleichgestellte Person im Sinne von § 1a Abs. 3 Nr. 1 UStG handeln.

Nach § 3c Abs. 1 bis 3 UStG gelten innergemeinschaftliche Fernverkäufe dort als erbracht, wo sich der Gegenstand bei Beendigung des Transports befindet. Dies gilt allerdings nur, sofern der Unternehmer die Schwelle von EUR 10.000 (netto) pro Jahr überschritten hat oder wenn er auf deren Anwendung verzichtet. Der Schwellenwert gilt dabei für alle Lieferungen in andere EU-Mitgliedstaaten. Er ersetzt die bislang deutlich höheren länderspezifischen Lieferschwellen.

Praxishinweis: Betroffene Unternehmer sollten prüfen, ob sie die recht niedrig angesetzte Geringfügigkeitsschwelle künftig überschreiten und so eine Registrierungspflicht in einem anderen EU-Mitgliedstaat auslösen. Sofern dies der Fall ist, kann eine Registrierung in einem anderen EU-Mitgliedstaat gegebenenfalls durch Meldung über OSS vermieden werden.

Fiktion eines Reihengeschäfts bei Lieferungen über einen Online-Marktplatz

Betreiber von elektronischen Marktplätzen werden durch die Einführung des § 3 Abs. 3a UStG unter bestimmten Voraussetzungen Steuerschuldner für Lieferungen der auf ihrem elektronischen Markplatz verkaufenden Händler. Die Neuregelung fingiert ein Reihengeschäft zwischen Online-Händler, elektronischer Schnittstelle und Endkunden. So werden Schnittstellenbetreiber selbst Lieferer und Verkäufer innerhalb einer Reihe. Infolgedessen müssen sie daraus resultierenden Erklärungspflichten nachkommen.

Die Lieferung von der elektronischen Schnittstelle an den Endkunden stellt unabhängig davon, wer den Gegenstand versendet, eine bewegte Lieferung innerhalb des fiktiven Reihengeschäfts dar (§ 3 Abs. 6b UStG). Für diese Lieferung kommt § 3c UStG zur Anwendung. Die Lieferung des Online-Händlers an die elektronische Schnittstelle stellt hingegen eine ruhende Lieferung dar, die am Ort des Versendungsbeginns erbracht wird. Sie ist nach § 4 Nr. 4c UStG steuerfrei.

Der Betreiber der elektronischen Schnittstelle kann den Umsatz im OSS erklären, soweit er die Lieferschwelle in Höhe von EUR 10.000 überschritten hat oder er auf deren Anwendung verzichtet.

Anwendungsfälle des § 3 Abs. 3a UStG

§ 3 Abs. 3a UStG umfasst die beiden folgenden Anwendungsfälle:

Allgemeine Schnittstellenlieferung: Die Lieferung eines Gegenstands, dessen Beförderung oder Versendung im Gemeinschaftsgebiet beginnt und endet, durch einen nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Online-Händler an einen Nichtunternehmer mittels elektronischer Schnittstelle (§ 3 Abs. 3a Satz 1 UStG).

Beispiel: Ein britischer Unternehmer versendet einen Gegenstand aus einem Lager in Frankreich an eine Privatperson in Deutschland über einen elektronischen Marktplatz.

Einfuhrschnittstellenlieferung: Der Fernverkauf von aus dem Drittlandsgebiet eingeführten Gegenständen in Sendungen mit einem Sachwert von höchstens EUR 150 mittels einer elektronischen Schnittstelle (§ 3 Abs. 3a Satz 2 UStG).

Beispiel: Ein Unternehmer aus Großbritannien versendet einen Gegenstand mit einem Wert von EUR 100 an eine Privatperson in Deutschland über einen elektronischen Markplatz.

Praxishinweis: Schnittstellenbetreiber sollten diejenigen Fälle infizieren, in denen ein fiktives Reihengeschäft nach der Neuregelung vorliegt. Etwaige Transaktionen können eine Registrierungspflicht in einem anderen EU-Mitgliedstaat auslösen, welche gegebenenfalls durch Meldungen über OSS vermieden werden können. Das kürzlich zum Umsatzsteuer-Digitalpaket ergangene BMF-Schreiben vom 1. April 2021 definiert zudem den Begriff der „Sendung“. Danach stellt jedes einzelne Packstück grundsätzlich eine Sendung dar. Eine elektronische Schnittstelle kann den Warenwert der Sendung allerdings regelmäßig nicht überprüfen. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine Bestellung an einen Empfänger auf mehrere Packstücke verteilt und die Versendung direkt durch den Online-Händler erfolgt. Infolgedessen kann die elektronische Schnittstelle nicht feststellen, ob ein fiktives Reihengeschäft vorliegt. Empfehlenswert ist daher, diesbezüglich vertragliche Vereinbarungen zu treffen.

Besonderheiten bei der Einfuhr

Die Steuerbefreiung für Kleinbetragssendungen bis EUR 22 aus dem Drittland wird abgeschafft. Dafür können Unternehmer Fernverkäufe von Sendungen mit einem Sachwert von höchstens EUR 150, bei denen der Liefergegenstand aus dem Drittlandsgebiet in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt wird, im IOSS melden. Die Einfuhr der Ware ist dann nach § 5 Abs. 1 Nr. 7 UStG in Verbindung mit § 18k UStG steuerfrei.

Wird der Umsatz von Sendungen mit einem Sachwert von höchstens EUR 150 nicht im OSS gemeldet, besteht nach der Neuregelung des § 21a UStG die Möglichkeit, die Einfuhrumsatzsteuer durch die Beförderer (Post- beziehungsweise Expresskurierdienstleister) von den Sendungsempfängern erheben und gesammelt an die Zollverwaltung entrichten zu lassen.