Politiker nutzen oftmals abhörsichere Mobiltelefone, damit sensible Informationen vertraulich bleiben. Dies kopierend etablierte sich im Bereich des organisierten Drogenhandels ungefähr 2016 ein neues Geschäftsmodell: Das Unternehmen EncroChat bot mit einer Verschlüsselungssoftware programmierte scheinbar abhörsichere Handys an. Jedoch knacken französische Behörden die Verschlüsselung und zahlreiche kriminelle Taten wurden sichtbar. Nun hat der Bundesgerichtshof erstmals ausführlich die Verwertbarkeit dieser EncroChat-Daten bejaht.

Kriminalroman EncroChat: Großer Coup der Polizei

Die französische Polizei fand bei Dealern 2017 und 2018 besonders verschlüsselte Handys. Die Handys waren über anonymisierte Verkaufskanäle zum Preis von EUR 1.610 jeweils für einen sechsmonatigen Zeitraum zu erwerben. Angesichts der vermeintlichen Abhörsicherheit wurde über die Handys offen über Straftaten kommuniziert. Die Server der Netzdaten standen in Frankreich und die französische Polizei griff nach einem französischen Gerichtsbeschluss auf die Server zu. Der Zugriff befähigte nicht zum Mitlesen aller Chatverläufe, da Chats nur teilweise sichtbar wurden. Erste Auswertungen ergaben den Verdacht einer hohen Zahl von kriminellen Handlungen. Rund 32.477 Handys in 121 Ländern waren betroffen, die zum Großteil für kriminelle Zwecke verwendet wurden.

 

Legitimiert durch einen französischen Gerichtsbeschluss infiltrierte die französische Polizei sodann alle EncroChat-Handys unbemerkt durch Schadsoftware – die Chats und Pseudonyme wurden ohne Kenntnis der Beschuldigten lesbar. Die deutsches Staatsgebiet betreffenden Daten erhielten deutsche Ermittlungsbehörden im Wege der Rechtshilfe. Seit März 2020 wurden in Deutschland über 2.250 Ermittlungsverfahren eingeleitet. In Deutschland wurden Vermögen i.H.v. etwa EUR 168 Millionen arrestiert sowie Vermögen i.H.v. rund EUR 28 Millionen vorläufig gesichert.

Sachverhalt zur EncroChat Entscheidung

In dem jetzt entschiedenen Fall wurde ein Hamburger von der Vorinstanz wegen Handels mit fünf Kilo Kokain und drei Kilo Marihuana zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Taterlöse über mehr als EUR 70.000 wurden eingezogen. Das einzige und zentrale Beweismittel waren EncroChat-SMS-Nachrichten. Der Angeklagte widersprach der Verwertung in der Hauptverhandlung (Widerspruchslösung).

Bundesgerichtshofs zur Verwertbarkeit der Encro-Chat-Daten

Die EncroChat-SMS-Nachrichten sind verwertbar – unabhängig davon, ob sie aus dem Inland oder Ausland stammen. Ein Beweisverwertungsverbot für im Wege der Rechtshilfe erlangte Beweise, sieht das deutsche Recht nicht vor. Ausländisches, hier französisches, Recht ist grundsätzlich nicht zu überprüfen. Die Mindestgrenze – der sogenannte „orde pulic“-Vorbehalt, der Rechtsstaatsanforderungen garantiert – wurde beachtet. Nach dem Gesamtkonstrukt durften die französischen Behörden von kriminellen Aktivitäten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität ausgehen.

 

Rechtsgrundlage für die Verwertung ist § 261 Strafprozessordnung (StPO). Nach § 261 StPO entscheidet das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien […] Überzeugung. Nach der üblichen Abgrenzungsformel bei Beweisverwertungsverboten ist das staatliche Strafverfolgungsinteresse mit dem individuellen Grundrechtsschutz abzuwägen. Bei besonders schweren Straftaten überwiegt in der Regel das staatliche Strafverfolgungsinteresse. Da keine Regelung für EncroChat-SMS-Nachrichten, die durch das Ausland erlangt wurden, besteht, ist auf die Grundgedanken und Voraussetzungen der Onlinedurchsuchung und dem Abhören der Wohnung (§ 100e Abs. 6 StPO) zurückzugreifen. Danach sind die Beweise hier verwertbar, da die folgenden Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Verwertung vorliegen:

  • Schwere Straftat i.S.d. § 100b Abs. 2 StPO,
  • Erforschung des Sachverhaltes ansonsten wesentlich erschwert,
  • keine Berührung des Kernbereichs privater Lebensführung.

Ein Beweisverwertungsverbot gibt sich nicht aus rechtshilfespezifischen Bestimmungen, etwa der Europäischen Ermittlungsanordnung in Strafsachen (EEA). Es ist ebenso nach obiger Formel abzuwägen: Da besonders schwere Straftaten vorliegen und keine anderen Beweismittel bestehen, überwiegt die Verwertung.

Folgerungen aus der Entscheidung zur Verwertbarkeit der EncroChat-Daten

Der Richtschnur für die kommenden Verfahren ist nun vorgegeben. Die Anforderungen an die Verwertung sind zurecht hoch. Interessant ist dabei der Rückgriff auf den Grundgedanken des § 100e Abs. 6 StPO. Die verfassungsrechtliche Abwägung birgt nichts Neues und ist zutreffend. Mandanten sollten den jeweiligen Einzelfall analysieren und die obigen Voraussetzungen prüfen. Sollten die Ermittlungsbehörden bei steuerstrafrechtlichen Vorwürfen Beweise aus EncroChat-Nachrichten verwerten, ist dem unmittelbar zu widersprechen. Selbst bei Steuerhinterziehungen in Millionenhöhe wären diese Beweise nicht verwertbar, da die Steuerhinterziehung in § 100b Abs. 2 StPO nicht als besonders schwere Tat gilt.

 

Abschließend: Es bleibt spannend, denn nun ist die erste Verfassungsbeschwerde zu einem EncroChat-Fall eingegangen. Außerdem laufen bereits die ersten Prozesse zu Sky ECC – ein weiteres geknacktes Kryptohandy mit mutmaßlich viermal so großen Datenbeständen.