Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen als steuerbegünstigter Zweckbetrieb

31.08.2020

Das Finanzministerium des Landes Sachsen-Anhalt hat sich zu einzelnen, gesetzlich nicht geregelten Fragen im Zusammenhang mit dem steuerbegünstigten Zweckbetrieb nach § 68 Nr. 9 AO geäußert (Az. 42-S 0187-6, DStR 2020, 1574).

Hintergrund

Erzielen Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen gemeinnütziger oder öffentlich-rechtlicher Organisationen durch Auftragsforschung (Ressortforschung) Einnahmen, stellen sie einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (§ 14 AO) bzw. einen Betrieb gewerblicher Art (§ 4 KStG) dar. Wenn sich ihr Träger – etwa eine GmbH oder ein Verein – überwiegend aus Zuwendungen der öffentlichen Hand oder Dritter oder aus der Vermögensverwaltung finanziert, begründen sie jedoch einen steuerbegünstigten Zweckbetrieb (§ 68 Nr. 9 AO). Übersteigen die Zuwendungen und Einnahmen aus der Vermögensverwaltung die übrigen Einnahmen, gehören auch die Einnahmen aus der Auftragsforschung zum steuerbegünstigten Zweckbetrieb. Sie sind dann ertragsteuerfrei.

Zuordnung von Einnahmen aus Zweckbetrieben wissenschaftlicher Art

Die überwiegende Finanzierung des Trägers der Forschungseinrichtung ergibt sich aus der Gegenüberstellung der Zuwendungen an den Träger von dritter Seite zuzüglich der Einnahmen aus der Vermögensverwaltung einerseits und der übrigen Einnahmen des Trägers andererseits. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist dabei auf einen Dreijahreszeitraum – das zu beurteilende Jahr und die beiden vorangegangenen Jahre – abzustellen (AEAO zu § 68 Nr. 9, Nr. 19).

 

Das Finanzgericht Köln (Urteil vom 22. Juni 2005 – 13 K 3420/04, EFG 2005, 1492) und das Sächsische Finanzgericht (Urteil vom 29. April 2014 – 3 K 492/13, juris) sahen dies in den entschiedenen Fällen allerdings anders. Sie stellten nur auf das jeweils zu beurteilende (Wirtschafts-)Jahr ab.

 

Zu den Zuwendungen von dritter Seite gehören sämtliche freiwillige Leistungen Dritter, für die die Forschungseinrichtung keine Gegenleistung schuldet. Dies können Projektförderungsleistungen von Bund, Ländern oder der Europäischen Union für die Eigen- und Grundlagenforschung sein, aber auch Zuschüsse von anderen Institutionen sowie Spenden und Mitgliedsbeiträge.

 

Einnahmen aus einem Zweckbetrieb, der anderen steuerbegünstigten Zwecken als der Förderung von Wissenschaft und Forschung dient, sollen dabei weder als Zuwendungen noch als „übrige Einnahmen“ erfasst werden (AEAO zu § 68 Nr. 9, Nr. 19). Dies hat das Finanzministerium Sachsen-Anhalt jetzt auch für Einnahmen aus Zweckbetrieben, die wissenschaftlicher Art sind, klargestellt. So sind beispielsweise Tagungsbeiträge einer Forschungseinrichtung aus der Durchführung eines wissenschaftlichen Kongresses, der einen Zweckbetrieb nach § 68 Nr. 8 AO begründet, bei der Verhältnisrechnung des § 68 Nr. 9 AO nicht zu berücksichtigen (so auch bereits Finanzministerium Bayern vom 13. April 2000, DB 2000, 964).

Einbeziehung der erhaltenen Umsatzsteuer in den Finanzierungschlüssel

Den Zuwendungen von dritter Seite sind alle Einnahmen aus der Auftragsforschung und aus sonstiger wirtschaftlicher Tätigkeit gegenüberzustellen. Dabei stellt sich die praktisch wichtige Frage, ob die dem Leistungsempfänger in Rechnung gestellte und erhaltene Umsatzsteuer ebenfalls anzusetzen ist, ob also die Netto- oder die Brutto-Einnahmen maßgeblich sind.

 

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 10. Mai 2017 (V R 43/14, DStR 2017, 1433) entschieden, dass die Umsatzsteuer nicht zu berücksichtigen ist. Nach Auffassung des BFH ergibt sich dies bereits daraus, dass sich die Trägereinrichtung aus einer von ihr für umsatzsteuerpflichtige Leistungen vereinnahmten Umsatzsteuer weder finanzieren darf noch kann, da sie diese Umsatzsteuer nur als „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates“ vereinnahmt.

 

Da dieses BFH-Urteil bisher nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht worden ist, hat sich das Finanzministerium Sachsen-Anhalt nun zu der Aussage veranlasst gesehen, entsprechend eines Beschlusses der Körperschaftsteuer-Referatsleiter aus dem Jahr 2000 seien in die Vergleichsrechnung des § 68 Nr. 9 AO stets die Einnahmen einschließlich der Umsatzsteuer (Bruttoeinnahmen) einzubeziehen.

 

Der Umsatzsteuer kommt für den Träger der Forschungseinrichtung jedoch keine Finanzierungsfunktion zu. Er hat diese unter Umständen schon vor Vereinnahmung, nämlich für den Voranmeldungszeitraum, in dem die Leistung ausgeführt wurde, an das Finanzamt abzuführen. Betroffene Forschungseinrichtungen sollten die Auffassung der Finanzverwaltung daher nicht akzeptieren und sich auf die BFH-Rechtsprechung berufen.

Ausgliederung von Auftragsforschung auf eine steuerpflichtige Tochtergesellschaft

Begrüßenswert ist, dass das Finanzministerium Sachsen-Anhalt die bei Forschungseinrichtungen immer wieder anzutreffende Ausgliederung eines Teils der Auftragsforschung in eine steuerpflichtige Tochtergesellschaft (GmbH) akzeptiert. Auch wenn mit dieser Gestaltung gezielt die Einhaltung des Finanzierungschlüssels des § 68 Nr. 9 AO bei der gemeinnützigen Muttergesellschaft gesteuert werde, sei dies nicht zu beanstanden. Es stelle keinen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne des § 42 AO dar. Dies hatte auch bereits das Finanzministerium Bayern in seinem Erlass vom 13. April 2000 (DB 2000, 854) vertreten.

 

Die entgeltliche Überlassung von Personal, Räumlichkeiten oder Geräten an die Tochtergesellschaft begründet bei der gemeinnützigen Forschungseinrichtung einen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Zu diesem gehört auch die Beteiligung an der Tochtergesellschaft, sodass dort neben den von der Tochtergesellschaft erhaltenen Leistungs- bzw. Nutzungsentgelten auch Gewinnausschüttungen (Kapitalertragsteuer!) zu erfassen sind.

Fazit: Forschungseinrichtungen müssen sorgfältig rechnen

Die Einhaltung der Voraussetzungen des § 68 Nr. 9 AO ist für Wissenschaft- und Forschungseinrichtungen gemeinnütziger Körperschaften immens wichtig. So entfällt bei einem Überwiegen der schädlichen Einnahmen über die Zuwendungen und Einnahmen aus Vermögensverwaltung nicht nur die Ertragsteuerbefreiung für Gewinne (§ 64 Abs. 1 AO).

 

Gravierender ist unter Umständen der Wegfall des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für die mit der Auftragsforschung bewirkten Umsätze. Ob die dann zusätzlich anfallende Umsatzsteuer von dem jeweiligen Leistungsempfänger nachträglich verlangt werden kann, muss für den jeweiligen Einzelfall geprüft werden. Häufig hat der Leistungserbringer keinen zivilrechtlichen Nachforderungsanspruch, hieraus resultiert für ihn ein erhebliches wirtschaftliches Risiko.

 

Für Zwecke der Vergleichsrechnung des § 68 Nr. 9 AO ist zum einen auf eine saubere Abgrenzung der Auftrags- und Ressortforschung von der Eigen- und Grundlagenforschung zu achten. Zum anderen muss für die Reichweite der Steuerbefreiung die Auftragsforschung unterschieden werden von Tätigkeiten, die sich auf die Anwendung gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse beschränken oder denen ein Forschungsbezug fehlt. Je nachdem, ob nur auf den jeweiligen Veranlagungszeitraum oder auf einen Dreijahreszeitraum abgestellt wird, ob die Netto- oder die Brutto-Einnahmen (einschließlich Umsatzsteuer) zugrunde gelegt werden, kann ein Zweckbetrieb nach § 68 Nr. 9 AO vorliegen oder auch nicht.