Voller Vorsteuerabzug für „gescheiterte“ Führungsholding

17.10.2018
Dr. Bastian Liegmann

Der EuGH hat am 17.10.2018 sein Urteil in Sachen Ryanair (C-249/17) veröffentlicht. Wie erwartet, ist er den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott gefolgt und hat den vollen Vorsteuerabzug bejaht. Mit der Entscheidung klärt der EuGH eine weitere Zweifelsfrage im Zusammenhang mit dem Vorsteuerabzug einer Führungsholding und stärkt deren Rechtsposition.

Hintergrund / Vorlagefragen zum Vorsteuerabzug

Ryanair hatte Eingangsleistungen im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Übernahme der Fluggesellschaft Aer Lingus bezogen. Nach dieser Übernahme wollte Ryanair an Aer Lingus entgeltliche Geschäftsführungsleistungen erbringen. Nachdem jedoch im Sommer 2007 die Europäische Kommission die vollständige Übernahme aus kartellrechtlichen Gründen ablehnte und lediglich einen Anteilserwerb von 29 % zuließ, kam es in der Folgezeit nicht zu den ursprünglich beabsichtigten entgeltlichen Leistungen von Ryanair an Air Lingus.

 

In diesem Zusammenhang legte der Irische High Court dem EuGH zwei Fragen vor:  Die erste Frage zielte im Kern darauf ab, ob die bloße Absicht, an eine zu erwerbende Beteiligung Führungsleistungen zu erbringen, genügt, um den vollen Vorsteuerabzug zu rechtfertigen, auch wenn es tatsächlich nie zu derartigen Leistungen kommt. Die zweite Frage zielte darauf, ob der Umstand, dass die Übernahme einer anderen Airline der eigenen unternehmerischen Airline-Tätigkeit von Ryanair dient, nicht ebenfalls geeignet ist, den Vorsteuerabzug zu begründen.

 

Die erste Frage betraf also im Kern die Vereinbarkeit zweier Rechtsprechungslinien des EuGH, einerseits dem grundsätzlich vollen Vorsteuerabzug einer sog. „Führungsholding“ (zuletzt hierzu EuGH in Sachen „Marle Participation“ v. 5.7.2018, C-320/17 , s. unseren Blogbeitrag) und andererseits dem Vorsteuerabzug eines sog. „gescheiterten Unternehmers“ für beabsichtigte, jedoch nie tatsächlich umgesetzte unternehmerische Tätigkeiten (vgl. EuGH in Sachen „INZO“ v. 29.2.1996, C-110/94).

 

Noch spannender war jedoch die zweite Frage, die im Grunde den Vorsteuerabzug einer sog. „strategischen Holding“ zum Gegenstand hatte. Diese in Deutschland langjährig anerkannte Struktur einer Holding ist auch dann grundsätzlich zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt, wenn Sie zwar keine entgeltlichen Leistungen an ihre Tochtergesellschaften erbringt, jedoch die Beteiligung der Förderung einer bereits bestehenden oder beabsichtigten unternehmerischen Tätigkeit dient, wie z.B. der Sicherung günstiger Einkaufs- oder Absatzkonditionen oder der Verschaffung von Einfluss bei potenziellen Konkurrenten (vgl. Abschn. 2.3. UStAE). Gerade Letzteres liegt im Ryanair-Fall nahe.

Die Entscheidung

Der EuGH hat nun die erste Frage uneingeschränkt bejaht. Die Absicht von Ryanair, entgeltliche Leistungen an Aer Lingus zu erbringen, reichte demnach aus, um den vollen Vorsteuerabzug zu begründen. Unerheblich ist es, ob es tatsächlich zu diesen Leistungen kam. Damit bestätigt der EuGH folglich die Vereinbarkeit seiner Rechtsprechungslinien zur „Führungsholding“ und zum „gescheiterten Unternehmer“. Dieses Ergebnis ist nicht überraschend und folgt dem Entscheidungsvorschlag der Generalanwältin Kokott v. 5.7.2018.

 

Keine Aussage traf der EuGH bedauerlicherweise zu der zweiten Vorlagefrage. Dies war auch nicht zwingend, da sich entsprechend der ersten Antwort bereits aus der Absicht von Ryanair, die entgeltlichen Leistungen zu erbringen, der volle Vorsteuerabzug ergab. Gleichwohl wäre es zu begrüßen und auch möglich gewesen, wenn der EuGH dennoch Stellung zu der zweiten Frage bezogen hätte. Dies wäre vor allem nach dem Beschluss des EuGH in Sachen „MVM“ v. 12.1.2017 (C-28/16) wünschenswert gewesen. In diesem Beschluss verneinte der EuGH den Vorsteuerabzug einer Holding mit dem Hinweis auf fehlende entgeltliche Leistungen an die Tochtergesellschaften. Obwohl dies nahe gelegen hätte, prüfte der EuGH in Sachen „MVM“ jedoch gar nicht, ob sich der Vorsteuerabzug nicht aus einem funktionalen, strategischen Zusammenhang zwischen den Beteiligungen der MVM an Elektrizität herstellenden Gesellschaften und der eigenen unternehmerischen Tätigkeit (u.a. Vermietung von Elektrizitätskraftwerken) ergeben könnte.

Konsequenzen für die Praxis

Die Klarstellung des EuGH, dass auch eine „erfolglose Führungsholding“ bereits aufgrund ihrer Absicht, entgeltliche Leistungen an eine zu erwerbende Tochtergesellschaft zu erbringen, grundsätzlich voll zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, ist aus Sicht der Praxis sehr erfreulich. Gleichzeitig betont dies die nicht zu überschätzende Bedeutung einer guten und rechtzeitigen Dokumentation dieser Absicht. Gerade hier lässt sich in der Praxis häufig etwas verbessern. Denn oftmals wird gerade im Transaktionsgeschäft vor dem Erwerb einer neuen Beteiligung  nicht in erster Linie an den Vorsteuerabzug der Käuferin gedacht, so dass die Dokumentation der Absicht, entgeltliche Leistungen an das Target zu erbringen, leicht übersehen wird. Gerade in Fällen wie dem von Ryanair, wenn es aus nicht vorhergesehenen Gründen gar nicht zur Leistungserbringung kommt, kann dies im ungünstigen Fall teuer werden. Denn nur, wenn bereits im Leistungsbezug nachweisbar die Absicht bestand, zukünftige entgeltliche Leistungen zu erbringen, kommt die Holding in den Genuss der „Ryanair-Rechtsprechung“ des EuGH.